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Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sein.«
    »Es ist meine Schuld, Magda, dass er gezögert hat. Ich habe ihm versprochen, ihm meine Bronzefigur zu zeigen, und es bisher verabsäumt. Er wollte sie zur Inspiration betrachten. Ich hole sie augenblicklich.«
    Almut stob, noch immer zornig, aus dem Refektorium und rauschte in ihre Kammer. Als sie mit der vergoldeten Marienstatue über den Hof zurückeilte, sah sie an der Pforte die schwarze Kutte und den Schleier einer Benediktinerin, aber sie schenkte ihr keine Beachtung. Mettel würde sich darum kümmern.
    Im Refektorium murrte Pater Leonhard noch immer, doch jetzt mit verminderter Lautstärke und nur mit der Meisterin. Die anderen waren in die Betrachtung des Schreins versunken, in dem jetzt Maria an ihrem rechten Platz stand.
    »Hier, Bertram. Das ist die alte Figur, deren Gesicht so viele Arten des Ausdrucks annehmen kann.«
    Mit großer Achtung nahm der Junge die Bronze in die Hand und versank in stummer Betrachtung. Dann und wann fuhr sein Finger ganz leicht über deren Gesicht, als ob sich sein Tastsinn die Formen einprägen wollte.
    Und dann geschah es.
    Mettel führte Schwester Ermentrude in den Raum. Die Nonne sah verstört und aufgelöst aus.
    »Frau Magda, Frau Almut! Ich habe schon bald keine Hoffnung mehr, aber sagt, ist unsere Novizin Pia vielleicht bei Euch? Oder habt Ihr sie irgendwo gesehen?«
    Almut und Magda sahen sich an, und beide packte das Entsetzen.
    »Seit wann vermisst Ihr sie, Schwester Ermentrude?«, fragte Almut gepresst.
    »Sie... ach, sie muss heute Nacht entschlüpft sein.« Ermentrude sah nicht nur verstört, sondern auch schuldbewusst aus.
    »Hattet Ihr die Aufsicht über die Novizinnen?«, wollte Almut gnadenlos wissen.
    »Ja. Bedauerlicherweise, ja. Ich bin einmal kurz eingenickt, Gott sei’s geklagt. Da muss sie sich hinausgestohlen haben.«
    »Ja, eine rollige Katze findet immer eine Möglichkeit zu entwischen. Bei uns ist sie nicht. Sucht sie in den Gassen am Hafen, bei den Seilmachern. Sucht auch Groß Sankt Martin auf und fragt den Abt. Befragt die Wirte der Schenken und Gasthäuser. Und meldet es bei den Turmmeistern.«
    »Aber ich kann doch nicht …«
    »Ihr habt heute Nacht genug geschlafen, Schwester!
    Jetzt werdet endlich wach! Noch etwas - durchsucht ihre Habseligkeiten. Und seht Euch die Umgebung Eurer Klostermauern gründlich an. Die Stiftsjungfer starb, als sie nach einem nächtlichen Ausflug über die Mauer kletterte, und Sanna, als sie wohl ihre Freundin aufsuchen wollte.«
    Almuts Stimme klang kalt und gebieterisch, und die Nonne rang mit zitternden Lippen die Hände.
    »Sucht, Schwester Ermentrude, vielleicht könnt Ihr ein Unglück noch verhindern!«
    In diesem Moment nahm Almut aus dem Augenwinkel wahr, wie Bertram ganz langsam und vorsichtig die Bronzefigur auf den Tisch stellte, dann begannen seine Kiefern zu mahlen, und seine Bewegungen wurden eckig.
    »Bertram!«, rief Almut und machte einen Schritt auf ihn zu. Er streckte, wie hilfesuchend, die Arme nach ihr aus, packte sie am Hals und begann sie mit schier übermenschlichen Kräften zu schütteln. Ihr Tuch flog ihr vom Haupt, die Flechten lösten sich, ihre Zähne klapperten, und verzweifelt versuchte sie sich von dem würgenden Griff um ihre Kehle zu befreien. Unartikuliertes Grunzen und Speichelfetzen kamen von Bertrams Lippen. Seine Augen waren bis auf das Weiße verdreht, stolpernd und wankend fiel er gegen sie. Beide stürzten, Almut zuunterst, zu Boden.
    Jemand zerrte an ihnen, jemand brüllte. Jemandem gelang es, den Schraubstock um ihr Genick zu lockern. Dann erschlafften Bertrams Hände plötzlich, und Almut sog mit einem Schluchzen die Luft ein. Mit letzter Kraft schob sie den Jungen von sich, sodass er auf dem Rücken zu liegen kam. Seine Glieder zuckten noch immer unkontrolliert, und Claas drückte seine Beine fest auf den Boden. Bela hielt seinen rechten Arm fest, Pitter seinen linken.
    »Elsa!«, krächzte Almut, und Magda erhob die Stimme, um über das Geschrei im Raum nach der Apothekerin zu rufen. Ihre Stimme war erstaunlich durchdringend.
    Mühsam rappelte Almut sich auf die Knie auf und beugte sich über Bertram. Sein Kopf schlug noch einmal in Krämpfen auf die Holzdielen, Blut sickerte aus seinen Mundwinkeln. Sie hielt ihn mit ihren kräftigen Händen fest. Ihre taillenlangen Haare fielen wie ein Schleier um sie, während sie sein Kinn herunterdrückte, damit er sich nicht noch einmal auf die Zunge biss.
    Elsa kam schnaufend herbeigeeilt und beugte sich mit einem

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