Die elfte Jungfrau
Lodewig angeblich durch die Klosterkatze bezogen hatte.
Also, langweilig war es nicht im Kloster zu Groß Sankt Martin.
Höchstens die Stundengebete. Aber auch da gab es Möglichkeiten …
»Ich entreiße dich nur ungern deiner Kontemplation, Novize!«
Erschrocken fuhr Michel aus seinem Halbschlaf auf und fand sich einem hochgewachsenen Mönch gegenüber, der ihn mit bärbeißiger Miene betrachtete. Seine Kutte war vom Nieselregen durchweicht, seine Stiefel lehmig, und aus seinen grauen, kurzen Haaren tropfte das Regenwasser. In seinem ebenfalls grauen Bart zogen sich rechts und links der Mundwinkel schwarze Strähnen nach unten. Doch mehr als das waren es die zusammengezogenen schwarzen Brauen, die ihm das Aussehen des ergrimmten Weltenrichters gaben.
»Zu Diensten, ehrwürdiger Pater!«, stammelte Michel entsetzt. Obwohl er erst knapp einen Monat im Kloster weilte, hatte er schon von Pater Ivo gehört. Und nichts von dem, was an seine Ohren gedrungen war, hatte in ihm den Wunsch geweckt, nähere Bekanntschaft mit diesem strengen, schroffen Mann zu machen.
»Ein heißes Bad, wenn’s gefällig ist!«, forderte der Benediktiner und begann, sich die lehmigen Stiefel von den Füßen zu ziehen.
Michel befolgte auf der Stelle den kurzen Befehl, warf aber einen neugierigen, wenn auch verstohlenen Blick auf den gereizten Pater, der sich währenddessen aus der feuchten Kutte und der ebenso durchweichten Tunika schälte. Ihm war anzusehen, dass ihm die körperliche Arbeit mindestens ebenso wichtig war wie das Beten. Seine Schultern waren breit, seine Arme stark, und die dunklen Locken auf seiner Brust zeugten davon, dass er einst auch schwarzes Haupthaar besessen haben musste. Lange, kräftige Beine hatte er und - hm - ein rechter Mann war er wohl auch. Doch als er Michel den Rücken zuwandte, um in den dampfenden Zuber zu steigen, stockte dem Novizen der Atem. Rötliche Striemen überzogen die Haut, kaum verheilte Narben einer strengen Geißelung. Natürlich hatte er das Gemunkel über die Auseinandersetzung zwischen Prior Rudgerus und Pater Ivo gehört, aber mit eigenen Augen hatte er die Folgen natürlich nicht zu sehen bekommen. Er hatte zwar mit Grauen den Berichten gelauscht, die von dem dreitägigen Martyrium erzählten, dem der Mönch in den tiefen Kerkern ausgesetzt gewesen war. Doch hatte er geglaubt, vieles sei einfach auch übertrieben gewesen. Vor allem die Geschichte, eine Begine aus dem Konvent am Eigelstein sei wie eine leibhaftige Furie in das Kloster eingedrungen, um mit Feuer und Peitsche zu Pater Ivos Rettung zu eilen. Indes - beim Anblick der Wunden wollte er auch das gerne glauben.
»Bist du der Starre anheimgefallen, Novize?«, fuhr Pater Ivo ihn plötzlich an, und mit einem erschrockenen Keuchen griff Michel zu dem nächsten Schaff heißen Wassers.
Wenngleich es üblich war, sich in den städtischen Badehäusern dem Genuss der Reinigung hinzugeben, dabei lieblichen Lauten- und Flötenklängen zu lauschen, parfümierte Öle in das Wasser zu gießen und sich mit Wein und feinen Speisen zu laben, so hielt man es doch im Klosterbad bedeutend kärglicher. Pater Ivo wusch sich rasch und gründlich mit der harten Seife und ließ sich nur zum Schluss noch einmal mit kaltem Wasser übergießen. Dann griff er ein grobes Tuch, trocknete sich damit ab und legte die frischen Gewänder an, die er aus der Kleiderkammer mitgebracht hatte.
Michel, der aus keinem armen Haus stammte und schon die einfachen Novizengewänder kratzig und ungemütlich fand, wunderte sich etwas darüber, dass ein angesehener Pater derart schäbige Kleidung anlegte. Die Tunika spannte über der Brust des Benediktiners, die Kutte, an den Säumen ausgefranst und vielfach geflickt, war ihm zu kurz und von verwaschenem Grau. Aber das schien ihn wenig zu kümmern. Er nickte dem Novizen nur noch einmal einen kurzen Dank zu und verließ das Badehaus.
Pater Ivo hatte den Morgen in den Weingärten hinter Machabäern verbracht, und als er nach getaner Arbeit das Kloster betrat, hatte der Pförtner ihm bestellt, der ehrwürdige Vater Abt wünsche ihn so bald wie möglich zu sprechen. Nach seinem raschen Bad machte er sich nun auf den Weg zu den Räumen von Vater Theodoricus, dem Abt des Klosters Groß Sankt Martin.
Die Stube war behaglich mit gepolsterten Bänken und einem weichen Sessel eingerichtet, Teppiche an den Wänden und auf dem Boden sowie ein prasselndes Feuer im Kamin brachten eine wohlige Wärme in den Raum. Theodoricus stand
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