Die elfte Jungfrau
Schuld! Die Mäuse haben das Hungertuch angenagt.« Er fügte aufgebracht hinzu: »Das sieht man doch an den Köteln!«
»Junge, du bist für deinen unersättlichen Hunger bekannt! Das sieht man auch!«, raunzte ihn Pater Ivo an.
»Aber doch nicht das Tuch, Pater Ivo!«
Lodewig legte schützend die Hände vor seinem rundlichen Bauch zusammen.
»Ich fürchte, Lodewig, unser Pater versucht, auf seine unergründliche Weise Scherz mit dir zu treiben. Das Fastentuch hat also gelitten, und was schlägt der Camerarius vor?«
»Ihr sollt die Strafe für mich festsetzen, ehrwürdiger Vater.«
»Das rettet das Tuch nicht. Es muss geflickt werden, stelle ich mir vor.«
»Unsere Schwestern in Machabäern können sich darum kümmern!«, warf Pater Ivo ein.
»Unsere Schwestern in Machabäern können kaum zwei Lagen Sackleinen zusammennähen!«, stellte Theodoricus nüchtern fest und hob vorsichtig das angenagte Tuch hoch. Die delikate Stickerei war tatsächlich an vielen Stellen aufgegangen, und feinste Gold- und Seidenfädchen hatten sich gelöst. »Die Albe, die Frau Magda von Stave für mich gearbeitet hat, entspricht etwa dieser Kunstfertigkeit. Bring das Fastentuch zu den Beginen, Ivo. Richte der Meisterin meinen Gruß aus und bitte sie, sich mit ihren Frauen darum zu kümmern.«
»Kann Lodewig auch dort hinbringen.«
»Natürlich. Kann er auch. Er wird dich morgen gleichzeitig zu den Machabäern oder den Stiftsdamen begleiten, wenn du sie wegen der Reliquien aufsuchst. Und, Ivo, ich habe noch eine weitere Aufgabe für dich.«
»Ich höre!«
Lodewig stahl sich erleichtert mit einer höflichen Verbeugung aus dem Raum.
»Hier sind die letzten Berichte über unsere Pfründe. Ich wäre dir dankbar, wenn du sie auch noch einmal durchsehen würdest. Insbesondere die Güter bei Villip machen mir große Sorgen.«
Pater Ivos Augen wurden zu schmalen Schlitzen, und seine Brauen zogen sich warnend zusammen. Aber er schwieg.
»Ich fürchte fast, man wird den dort arbeitenden Brüdern einen Besuch abstatten müssen.«
»Gib mir die Unterlagen!«
»Natürlich. Und ich überlege schon die ganze Zeit, ob es nicht ganz sinnvoll wäre, wenn du einige Tage außerhalb des Klosters verbringen würdest. Deine Laune, Ivo, würde selbst an lichten Sommertagen schon die Sonne verdüstern. Derzeit kommt es mir vor, als ob du die sprichwörtliche ägyptische Finsternis verbreitest.«
Pater Ivos Miene wurde noch um ein Grad bewölkter, aber bevor er etwas erwidern konnte, fuhr der Abt fort: »Wer hat dir übrigens diese ausgefranste Kutte gegeben? Die gehört doch in die Almosentruhe! Hast du dir eine besondere Buße auferlegt?«
»Nein. Bruder Ludger fand sie für mich angemessen. Ich bat ihn um eine trockene nach der Arbeit, und er wies mich zurecht, ich hätte diese Woche schon ein sauberes Gewand erhalten.«
»Ich werde mit unserem Camerarius ein Wort zu reden haben. Du brauchst auch für die Reise passende Kleidung. Hosen, Wams, Umhang, Stiefel. Und ein ordentliches Pferd.«
Pater Ivo zeigte ein bitteres Grinsen.
»Weltliche Kleidung, Theo?«
»Sicher, oder möchtest du lieber in dieser löcherigen Kutte reiten?«
»Schon gut.«
»Ich werde dir ausreichend Geld übergeben lassen. Deck dich selbst mit den entsprechenden Gewändern ein.« Mit einem Grinsen fügte er hinzu: »Bruder Jakob hingegen solltest du nicht nach seinem Schneider fragen.«
»Bruder Jakob?«
»Ja, glaubst du denn, ich weiß nicht, wie er herumläuft, wenn er das Kloster verlässt, um unser Schwesternhaus auf Rolandswert zu besuchen?«
»Wie ein Geck!«
»Richtig!«
»Das Wetter ist noch nicht zum Reisen geeignet, Theo.«
»Nein, noch nicht. Und am Sonntag hast du noch eine Brautmesse zu lesen. Darum beschaff dir erst einmal die Kleider und nimm Einblick in die Berichte.«
»Na gut. War es das, was du von mir wolltest?«
»An Arbeiten ja. Aber - Ivo, ich bin dein Abt, und ich hoffe, du respektierst das.«
»Natürlich, ehrwürdiger Vater.«
»Nun, dann verlange ich jetzt von dir eine wahrheitsgemäße Antwort.«
»Ich spreche immer die Wahrheit.«
»Solange du nicht schweigst, ja.«
Überrascht sah der Pater seinen Oberen an. Theodoricus vermittelte seinen Gesprächspartnern oft den Eindruck eines recht behäbigen Mannes, der nicht besonders hurtig zu denken in der Lage war. Doch das täuschte, er war sehr wohl zu überaus gewundenen Gedankengängen in der Lage. Im Grunde wusste Pater Ivo das, doch es überraschte ihn dennoch, als er die nun
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