Die elfte Jungfrau
ihrem Sohn auf.
»Frau Almut, kommt herein. Ich habe süße Wecken gebacken, so wie Eure Gertrud sie mir empfohlen hat. Probiert sie und sagt mir, ob sie so recht sind.«
Lena war nicht sehr groß, aber rundlich, und mit Nachdruck drängte sie die Begine in die warme Diele. Von einem Blech nahm sie einen Wecken und reichte ihn ihr. Dann machte sie eine einladende Gebärde und setzte sich auf die Holzbank an der Wand. Almut nahm neben ihr Platz.
»Ich habe von Pitter erfahren, was passiert ist, Frau Almut. Ich weiß, es ist schwierig mit meinem Jungen, und ich bin Euch ewig zu Dank verpflichtet, dass Ihr ihm am Sonntag beigestanden habt.«
»Das war doch selbstverständlich. Hat Bruder Markus ihm helfen können?«
»Er hat ihm eine beruhigende Arznei gegeben, aber mehr konnte auch er nicht tun.« Die Pastetenbäckerin hob resigniert die Schultern. »Es ist eine schlimme Krankheit, und wenn ihn die bösen Geister anfallen, dann kann man wenig tun. Wir haben schon vor vielen Heiligen gebetet, und er trägt immer einen geweihten Dreikönigszettel um den Hals, aber es geschieht wieder und wieder. Manchmal so stark wie am Sonntag, andermal aber so, wie Ihr es vorhin erlebt habt. Bertram behauptet, er spürt es herankommen. Dann verkrampfen sich seine Hände und sein Gesicht. Darum lasse ich ihn nicht mit scharfen Gegenständen hantieren. Er hat sich dabei schon selbst verletzt.«
»Und die Katze hat er von den Knien gestoßen, weil er Angst hatte, sie zu würgen!«
»So ist es, Frau Almut.«
»Es tut mir leid, so barsch reagiert zu haben!«
»Ich weiß. Ihr seid eine mitleidige Frau, aber das könnt Ihr doch nicht wissen. Ach, der Junge war so aufgeweckt, und bis zum Sommer letzten Jahres ganz gesund. Er wollte Holzschnitzer werden wie mein Bruder. Aber das wird jetzt nicht mehr gehen.«
»Wodurch hat er die Krankheit bekommen? Unsere Apothekerin erklärte mir, manche Menschen, die einen bösen Schlag auf den Kopf erhalten haben, leiden anschließend unter solchen Anfällen.«
»Er hat keinen Schlag auf den Kopf bekommen. Oder zumindest weiß er nichts davon. Den ersten Anfall hatte er, kurz nachdem die Erzbischöflichen im Juli die Stadt beschossen haben. Er war neugierig und wollte sehen, welchen Schaden die Pfeile und Kugeln angerichtet haben, und - ja, das war natürlich entsetzlich - er fand die arme Maike, die Tochter des Zöllners. Sie lag tot an der Stadtmauer.«
»Dann mag das Entsetzen diese Krämpfe ausgelöst haben. Kannte er das Mädchen?«
»Natürlich. Sie besuchte uns ein, zwei Male, damals, als wir noch bei meinem Bruder wohnten. Ein so niedliches Ding, aber ein wenig keck. Dennoch, das Schicksal hat sie nicht verdient.«
»Nein, bestimmt nicht. Doch an der Stadtmauer lebt es sich gefährlich, seit es zu den Auseinandersetzungen mit dem Erzbischof kam. Seid Ihr deshalb hierher gezogen?«
»Ach nein, dort haben wir nur die letzten zwei Jahre gewohnt. Eigentlich komme ich aus Rodenkirchen. Aber von dort mussten wir weggehen. Weil..., na ja, der Junge da draußen, der ist... na ja, der ist...«
»Nicht ehelich?«
»Nein, er ist nicht... Ich war nicht verheiratet. Und die Leute haben mir das Leben schwer gemacht. Also sind wir fortgezogen. Mein Bruder hat das vorgeschlagen. Er sorgte damals für mich. Ist ein guter Bruder, Frau Almut. Er hat mir nie einen Vorwurf gemacht. Wegen ihm habe ich mit dem Pastetenbacken angefangen, und das bringt mir jetzt einen hübschen Lebensunterhalt ein.«
»Kein Wunder, Frau Lena, sie sind überaus köstlich. Auch diese süßen Wecken.« Almut hatte das Gebäck mit großem Genuss verzehrt und wischte sich die Krümel vom Gewand. »Wenn Ihr nicht darüber sprecht, werde ich kein Wort darüber verlieren. Aber, wisst Ihr, hier in Köln sieht man die Bastarde nicht so scheel an. Meine - ähm - Stiefschwester ist auch ein Fehltrittchen meines Vaters.«
»Oh.«
»Ihr werdet es über kurz oder lang sowieso hören. Es ist Aziza.«
»Oh, die maurische …!«
Lena beendete den Satz mit einem verlegenen Hüsteln.
»Nein, nein!«, berichtigte Almut mit einem Grinsen. »Sie ist keine Maurin und so.«
»Nichts für ungut, Frau Almut.«
»Sie ist eine anerkannte Geldwechslerin und fertigt wunderbare Teppiche.«
Lena war rot bis an beide Ohren geworden, aber über ihre runden Wangen schlich sich ebenfalls ein Lächeln.
»Ich verstehe, was Ihr meint. Es gibt viel dummes Gerede, nicht wahr?«
Ȇber jeden, der ein klein wenig anders ist als die Mehrzahl der Leute.
Weitere Kostenlose Bücher