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Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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an seinem Lesepult, in eine schön illuminierte Handschrift vertieft, als der Pater eintrat.
    »Ah, Ivo, gut, dass du kommst.«
    »Du wolltest mich sprechen, Theo?«
    Es war kein weiterer Mönch zugegen, und daher erlaubte sich Pater Ivo die vertrauliche Anrede, denn die beiden Männer kannten sich schon aus ihren Jugendtagen.
    »Ja, setz dich. Es gibt verschiedene Dinge, die geregelt werden müssen. Fühlst du dich wieder kräftig genug, einige Arbeiten zu übernehmen?«
    »Sieht so aus. Ich habe die Zäune um den Weingarten kontrolliert und bin nicht zusammengebrochen.«
    »Nein, offensichtlich nicht. Nun, dann hör zu. Zum einen haben wir hier ein Ansuchen von dem Abt aus Iburg, Otto von Horn. Er wünscht sich eine Ursulareliquie. Kannst du dich darum kümmern? Er ist ein entfernter Vetter von mir, und ich will nicht ungefällig sein.«
    »Muss es von Ursula selbst sein, oder tut es auch eine von ihren Jungfrauen?«, erkundigte sich Pater Ivo brummig.
    Theodoricus erlaubte sich ein leises Schmunzeln.
    »Eine Jungfrau wird reichen. Keine ganze, ein Knöchelchen. Aber eines dieser Reliquiare muss es sein, schreibt Vetter Otto. Du weißt schon, eine Büste mit ihrem Antlitz.«
    »Ich kümmere mich darum. Die Schwestern von Machabäern oder die Stiftsdamen von Sankt Ursula werden uns wohl weiterhelfen. Beide verfügen über reichlich Gebein.«
    »Beginn bei Mutter Mabilia. Sie ist zwar eine Henne, aber nicht so raffgierig wie die hochadelige Oberin vom Ursulastift. Kommen wir zum nächsten Punkt. Es ist die Bitte an mich herangetragen worden, du mögest am kommenden Sonntag eine Brautmesse in Sankt Brigiden lesen.«
    »Ich?«
    »Ja, du, Pater Ivo!«
    Jetzt hatte der Abt Gelegenheit, sich an dem verblüfften Gesicht seines Gegenübers zu weiden.
    »Dafür bin ich der denkbar Ungeeignetste. Wer hegt so ein blödsinniges Ansinnen?«
    »Der Schmied Simon vom ›Adler‹, der die Frau Franziska zu ehelichen wünscht.«
    »Muss das sein?«
    »Gibt es ein Hindernis?«
    »Nein, aber kann das nicht ein anderer übernehmen?«
    »Himmel, Ivo, es ist vor dem Kirchenportal der Trausegen zu sprechen und eine einfache Messe zu lesen. Du bist Priester, was spricht dagegen?«
    »Du weißt, warum ich nicht gerne dieses Amt ausübe.«
    »Ja, ich weiß es. Aber andere nicht.«
    Pater Ivo schwieg einen Moment, und sein Abt betrachtete seine sich weiter verdüsternde Miene. Schließlich meinte er: »Der Simon schätzt dich sehr. Du hast offensichtlich auf diesen rauen Nordmann einen tiefen Eindruck gemacht, als du den Fall mit dem - ähm - verlorengegangenen Kopf in die Hand genommenhast. Und Frau Franziska ist eine gute Freundin deiner Begine.«
    »Sie ist nicht meine Begine!«, fuhr der Benediktiner auf.
    »Immerhin weißt du, wen ich meine. Also, überleg es dir.«
    »In Ornat und Stola, mit Weihrauch und Gesang!«
    »Natürlich. Die Kleiderkammer hat einige recht eindrucksvolle Gewänder zu diesem Zweck vorrätig.«
    »Mhmpf.«
    »Danach gibt es ein vermutlich sehr üppiges Gelage im ›Adler‹, zu dem du auch eingeladen bist.«
    »Mein Gelübde verbietet mir die Teilnahme an derart weltlichen Festlichkeiten.«
    »Wenn du auf meinen Wunsch handelst, nicht, Ivo!«
    »Du befiehlst mir, die Messe zu halten.«
    »Wenn du es nicht anders willst, ja.«
    »Also gut.«
    »Schön. Kommen wir zum nächsten Punkt. Unser Bruder Rudgerus weilt nun schon seit beinahe zwei Monaten in Melaten, und das Amt des Priors ist unbesetzt. Ich würde es sehr begrüßen …«
    »Nein, Theo! Nein! Ganz gewiss nicht!«
    »Ivo, es würde dir anstehen.«
    »Nein. Ich habe es schon einmal abgelehnt. Meine Meinung dazu hat sich nicht geändert.«
    Der Abt wollte zu einer weiteren Argumentation ausholen, als es schüchtern an der Tür pochte. Auf die Aufforderung einzutreten erschien ein pummeliger Novize mit wirren braunen Locken, der ängstlich eine Entschuldigung murmelte. Er zerrte einen Korb mit einem Ballen Stoff hinter sich her.
    »Der Bruder Camerarius schickt mich, ehrwürdiger Vater. Aber ich bin nicht schuld. Es waren die Mäuse, ehrlich!«
    »Komm herein, Lodewig, und erkläre dich etwas deutlicher.«
    Der Junge folgte der Aufforderung und legte seine Last vorsichtig vor dem Abt ab.
    »Es ist das Hungertuch, ehrwürdiger Vater. Bruder Ludger hat mich geheißen, es hervorzuholen, um es vor der Fastenzeit zu glätten, damit es den Altar ordentlich verhüllt. Aber dann habe ich gesehen, dass die Fäden ganz locker waren. Ich meine, das ist doch nicht meine

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