Die elfte Jungfrau
Man sollte sich nichts daraus machen.«
»Das sagt Ihr. Aber meinen Jungen, den Bertram, den kränkt es sehr, wenn man ihn einen Narren heißt. Er zeigt es nicht, aber eine Mutter spürt so etwas.«
»Ja, das glaube ich Euch. Immerhin ist er Euch ein eifriger Helfer, und mit Griffel oder Feder kann er sich keinen großen Schaden zufügen. Vielleicht findet er einmal eine Stellung als Schreiber.«
»So walte Gott. Das wäre gut für ihn. Obwohl es ein Jammer ist, denn seine Schnitzereien waren einfach wunderbar. Manchmal denke ich, er könnte sogar besser werden als sein Onkel. Seht, das hier hat er im vorigen Jahr gemacht.«
Frau Lena wies auf eine kleine Figur auf dem Wandbord hin, die ganz eindeutig sie selbst darstellte. Mit faltenreichen, schwingenden Röcken, gerade so, wie sie sich geschickt drehte, um ein schweres Backblech aus dem Ofen zu heben, die Ärmel hochgekrempelt, einige Locken aus dem Gebände entwischt und das runde Gesicht strahlend vor Zufriedenheit über die gelungene Arbeit.
Almut war tief beeindruckt.
»Das ist erstaunlich lebendig, Frau Lena. Genau so sieht man Euch hier werken!«
»Er hat schon immer gerne mit Holz gearbeitet. Aber man braucht scharfe Messer und Stichel dafür. Je nun, man muss sich nach dem Schicksal richten!«
»Mag sein, es verliert sich die Krankheit mit dem Alter wieder. Oder möglicherweise ist ein Kraut dagegen gewachsen. Wisst Ihr was, Frau Lena? Ich kenne einen sehr guten Apotheker am Neuen Markt. Den Meister Krudener. Er ist ein gebildeter Mann und hat viel von der Welt gesehen. Ich werde ihn das nächste Mal fragen, ob er eine Kur für Euren Bertram weiß.«
»Ach, Frau Almut, Ihr seid so gütig.«
»Wie sich gezeigt hat, bin ich das leider nicht immer.«
»Nun, wir können nicht immer heiteren Mutes sein, Frau Almut, und auch Ihr werdet Eure eigene Plage haben. Ich habe schon manches Mal beobachtet, dass diejenigen, die jedermann anlächeln und freundlich tun, sich in einen Windhauch auflösen, wenn es darum geht, ihrem Nächsten zu helfen, und dass doch einige grimmige Menschen einen guten Kern haben.«
Almut sah augenblicklich das Bild eines äußerst grimmigen Menschen vor sich, und ihr Mundwinkel zuckte leicht. Als hätte die Pastetenbäckerin ihre Gedanken gelesen, fügte sie hinzu: »Der Mönch, der Bertram am Sonntagabend herbrachte, war so einer. Dieser Pater Ivo. Er wirkte wie eine schwarze Gewitterwolke, aber als er von Eurem schnellen Eingreifen bei Bertrams Anfall sprach, hatte ich den Eindruck, er hieß Euer Verhalten recht wohl gut.«
»Ja, Pater Ivo ist so ein Mann... Aber nun will ich Euch Eurem Teig und dem Backes überlassen, ich sehe, die Körbe leeren sich allmählich. Und ich muss auch meine Abrechnungen endlich fertig bekommen.«
»Ja, gehen wir wieder an die Arbeit.«
In etwas besserer Laune kehrte Almut zu ihren Zahlenreihen zurück, und siehe da, die nächste Addition wollte auch stimmen.
»Gute Taten tragen ihren Lohn in sich!«, bemerkte sie darauf zu Maria und hatte den Eindruck, dass die Mutter des Lebens ihr zustimmte. Und als sie in den grauen Nieselregen nach draußen blickte, schien es ihr, als helle sich der Horizont im Westen nun doch ein wenig auf.
4. Kapitel
M ichel war glücklich. Er hatte an diesem kalten Tag die Aufgabe zugewiesen bekommen, das Feuer in der klösterlichen Badestube hinter der Küche zu beaufsichtigen. Hier war es immer angenehm warm. Obwohl es harte Arbeit bedeutete, die Zuber ständig zu füllen, da es recht viele Kranke in dieser Zeit gab, denen der Infirmarius heiße Bäder zur Linderung ihrer Beschwerden verordnete. Derzeit allerdings verlangte niemand nach Wasser und Tüchern, und so gönnte er sich eine müßige Runde des Dösens in der feuchten Wärme.
Michel war gerade achtzehn geworden und hatte sich einigermaßen fügsam der Anordnung seines Vaters gebeugt, in den geistlichen Stand zu treten. Zu Lichtmess war er als Novize bei den Benediktinern aufgenommen worden und fand das neue Leben noch aufregend. Es gab viel zu lernen, aber es gab auch recht viel Geselligkeit. Die sieben weiteren Jungen und jungen Männer, die sich auf die Profess vorbereiteten, hatten ihn brüderlich in ihrem Kreis aufgenommen. Na gut, sie hatten ihm ein paar Streiche gespielt, aber Michel wusste sich zu wehren. Immerhin hatte niemand widersprochen, als er sein blaues Auge als einen Unfall mit dem Eimer am Ziehbrunnen begründete. Und auch er hatte keinen Kommentar zu den Schrammen abgegeben, die
Weitere Kostenlose Bücher