Die elfte Jungfrau
Dämonenfratze habe er Ausschau zu halten. Er tat es und wunderte sich ein wenig, weshalb zwei Kienspäne in ihren Haltern an der Wand brannten. Aber weder sein aufmerksames Lauschen noch seine forschenden Blicke ließen ihn ein menschliches Wesen erkennen. Nur das furchtbare Schlangenhaupt sah ihn an. Wohl war ihm nicht. Doch die Begierde war stärker als die Angst. Er öffnete die lautlos in den Scharnieren aufschwingende Tür und fand den Eingang zu den tieferen Kellern.
Trine war damit beschäftigt, die Kästen, Dosen und Phiolen für den Verkaufsraum aufzufüllen. In eine transparente gläserne Flasche goss sie das gelbe Aurum potabile und gab, nach Anweisung des Apothekers, ein wenig Blattgold hinzu, was die Kunden besonders beeindruckte und die Wirkungsweise des Trinkgoldes, das eigentlich ein Gelbwurz-Extrakt war, erheblich steigerte. Dann gab sie in eine langhalsige grüne Flasche das gelbbraune Eisenöl, das so gute Wirkung bei Gallenbeschwerden zeigte und bei einigen beleibten Mönchen sehr beliebt war. Zwischendurch allerdings stippte sie ihren Finger immer mal wieder in den Mörser und leckte ihn mit Genuss ab. Krudener hatte ihr auch eines der tütenförmig zusammengedrehten Palmblätter aus Arabien gegeben, dessen kostbaren Inhalt sie zu einem feinen Kristallpulver zermörsern sollte.
Gerade ließ sie wieder auf der Zunge einige Körnchen davon zergehen, als ein ungewohnter Luftzug sie aufmerksam werden ließ. Ihr Lehrherr war vor geraumer Zeit fortgegangen, um in einem der benachbarten Gärten nach dem Sternenstein zu suchen, der am Montag vom Himmel gefallen war. Aber gewöhnlich nahm er den Haupteingang vom Neuen Markt aus, und nicht die Hintertür. Die Luft aber, sie schnüffelte noch einmal intensiv, die Luft kam vom Hof herein. Trine konnte zwar nicht hören, doch ihre Nase machte diesen fehlenden Sinn wett. Es war ein Eindringling ins Haus gekommen, dessen war sie sicher. Achtsam schlüpfte sie hinter die Fässer, die aufgestapelt vor der Wand standen, und verharrte bewegungslos. Nur auf die sich verändernden Gerüche achtete sie. Seltsam, es roch plötzlich mehr als gewöhnlich nach dem grünen Papagei. Und dann nach Zunder. Einem brennenden Öllämpchen. Was sie aber völlig erstarren ließ, war der zarte Hauch von frischem Holz und Harz. Äußerst vorsichtig lugte sie über den Fassrand und sah in der Tat den Schreinemaker in der Tür mit dem Medusenhaupt verschwinden.
Neugier und ein ordentliches Quäntchen Abenteuerlust erstickten jede Vorsicht bei Trine im Keim. Sie schlüpfte aus ihrem Versteck und lief hinter dem Eindringling her. Auch wenn sie selbst nichts hören konnte, so bewegte sie sich doch geschmeidig, und die ausgetretenen Stufen waren ihr vertraut. Sie folgte dem zitternden Lichtchen in die Tiefen der uralten Gemäuer.
Almut wohnte mit den anderen Beginen der Messe in Sankt Brigiden bei. Neben ihr kniete in seiner Novizenkutte Bertram, der die Erlaubnis erhalten hatte, den Gottesdienst mit seiner Mutter zu verbringen. Lodewig und der Infirmarius jedoch hielten sich ganz in seiner Nähe auf, sollte ihn ein unerwarteter Anfall ereilen.
Die Litaneien und Gebete glitten an Almut vorüber, und mechanisch stimmte sie zusammen mit der Gemeinde in die vorgeschriebenen Antworten ein. Ihre Gedanken aber durchdrangen die Kirchenwand und suchten auf der anderen Seite, dort, wo die Benediktiner in der Klosterkirche ihren Andachten nachgingen, einen ganz anderen Pater als den, der hinter dem Lettner die Zeremonien durchführte. War er zurückgekommen? Hatte er Antworten erhalten? Oder hatte er Antworten gefunden?
Weihrauch durchwebte den hohen Raum, und Staubpartikel tanzten in den Lichtbändern, die durch die bleigefassten Glasrauten der Fenster fielen. Anders als sonst beruhigte sie der monotone Singsang nicht. Der Verrat an dem Gottessohn und die Verleumdung durch seine Getreuen berührten ihre Seele nicht, die Schreie des Volkes nach seiner Kreuzigung gingen an ihr vorbei, doch als er gegeißelt wurde, da musste sie mit der erschreckenden Erinnerung kämpfen, wie sie vor vier Monaten den Pater in den Katakomben des Klosters gefunden hatte. Und als die weinende Mutter am Kreuz das Martyrium ihres Sohnes mitlitt, da zog sich auch ihr Herz zusammen. Vor Mitgefühl mit einer anderen Mutter jedoch, die den Mut gehabt hatte, ihren Sohn in den Kerkern der Inquisition zu besuchen.
So versunken war sie in deren Leid, dass sie des aufgeregten Scharrens und des Getuschels nicht
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