Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
Almut über das muntere Mädchen nach, das ihnen bis zum vergangenen Herbst täglich die Milch geliefert hatte. Bis zu dem Tag, als die Ursulaprozession durch die Straßen ging.
    »Grundgütige Maria, sie starb am Ursulatag!«
    Almut war aufgesprungen und ans Fenster getreten. Doch sie sah nicht die dunkle Welt dort draußen, sondern ein bärtiges Gesicht.
    »Ich wünschte, ich könnte es ihm mitteilen!«, flüsterte sie. »Die Dämonin hat einen höchst unerwarteten Namen. Vielleicht könnte er mir erklären, was die Heilige mit dem Schreinemaker angerichtet hat, dass er die Mädchen, die sie verehren, umbringt.«
    Ein paar Wassertröpfchen fielen von Dach nieder, und eines traf ihre Wange. Das brachte sie in die Gegenwart zurück, und sie sah wieder den schattigen Hof, nahm den zarten Duft der Blüten des Apfelbaumes draußen vor der Mauer wahr, die ihn im Mondlicht wie eine schimmernde Wolke aufleuchten ließen. Sie sah die Sterne am samtblauen Himmel flimmern, und inbrünstig sprach sie ihr Gebet zu Ende.
    »Oh meine Herrin, heilige Maria, immerwährende Trösterin! Ich empfehle dir all meine Hoffnungen und Träume, all meine Ängste und Wünsche, das Leben und das Ende meines Lebens.«
    Eine Sternschnuppe zog mit ihrem glitzernden Schweif über das Firmament, und ein unsagbar tröstliches Gefühl des Vertrauens und der Hoffnung erfüllte die Seele der Begine.

46. Kapitel
    C alcinatio, Sublimatio, Destillatio!«, krähte der grüne Papagei und flatterte aufgeregt mit den Flügeln. Die graue Katze sandte ihm einen Blick brennender Begierde zu und gab ein schnatterndes Geräusch von sich, das den Vogel hoch oben auf seiner Stange jedoch unberührt ließ.
    »Euer Dämon, heißt es, Meister Krudener.«
    Almut näherte ihre Hand mit den Nüssen vorsichtig dem hakenförmigen Schnabel.
    »Sophia. Hähähä! Sophia!«, war die krächzende Antwort, dann schnappte er nach der Gabe.
    »Kluger Vogel!«, lobte Krudener ihn mit ähnlich krächzender Stimme.
    Sie saßen schon geraume Zeit zusammen und hatten Almuts Gedankengänge vom Vortag mehrfach durchleuchtet.
    »Mir scheint, Ihr habt einen erstaunlichen Schluss auf Basis der Analogie gezogen, Frau Almut. So wie wir es auch bei der Sternenkunde tun - Ihr habt Ähnlichkeiten gesucht und sie in der heiligen Ursula gefunden. Aber wieder ist es nur ein Gedankenspiel, oder, wenn Ihr so wollt, die geistige Vorstellung des Musters, doch noch nicht das gewebte Band. Hingegen - Eure Augen leuchten derart, das mir scheinen will, noch eine weitere Erkenntnis habt Ihr inzwischen gewonnen!«
    Almut setzte sich wieder zu Trine und Krudener an den Tisch und nickte. Sie hatte den Vormittag bei der Pastetenbäckerin verbracht, und sie, so hoffte sie, äußerst vorsichtig ausgefragt.
    »Ich habe eine gewonnen. Urteilt selbst.«
    »Lasst hören!«
    »Pater Ivo berichtete mir, die Eltern von Claas und Lena seien sehr fromm gewesen, und die Mutter habe die Heiligen tief verehrt. Sie sammelte Reliquien, vermutlich keine kostbaren, wahrscheinlich auch keine sehr echten.«
    »Sicher nicht.«
    Um Krudeners Mund lag ein milde verächtlicher Zug.
    »Lena bestätigte es und erwähnte auch, die Wertvollste unter ihnen sei eine Ursula-Reliquie gewesen. Die Legende dieser Heiligen hatte die Mutter ihren Kindern von klein auf immer wieder erzählt. Kurz nachdem sie gestorben war, hatte der damals dreizehnjährige Claas eine Traumvision, sagte sie. Die Märtyrerin selbst war ihm erschienen - und sie trug das Antlitz der verstorbenen Mutter.«
    »Das will ich nicht bezweifeln. Große Gemütsbewegungen können solche Bilder hervorrufen.«
    »Ja, der Junge hat schwer am Tod der Mutter gelitten. Dennoch hat dieses Leid, oder die Vision, anscheinend seine künstlerischen Fähigkeiten aufblühen lassen. Er schnitzte seine erste Ursulabüste für das heilige Knöchelchen. Mit den Zügen seiner Mutter. Die Büste steht bei Lena, jedoch ohne die Reliquie. Man wurde auf sein Talent aufmerksam, und er bekam einige Aufträge, weitere Reliquiare zu schnitzen. Dem Vater war es wohl recht, solange der Junge auch weiterhin an den Möbeln und Särgen mitarbeitete.«
    »Ist sein Talent so überragend?«
    »Er ist ein ausgezeichneter Handwerker, er kann auch ein Gesicht nachbilden. Aber der wahre Künstler ist Bertram. Er kann das Wesen dessen erfassen, was er schnitzt.«
    »Eine gute Beschreibung, Frau Almut. Aber bleiben wir bei dem Schreinemaker. Die Begeisterung für die Ursula hat ihn in eine bestimmte berufliche

Weitere Kostenlose Bücher