Die elfte Jungfrau
Richtung gelenkt.«
»Richtig. Er hat seine Lehrjahre als Tischler absolviert, war auch eine Weile auf Wanderschaft und ist dann nach Köln gezogen, um, wie Lena meinte, der heiligen Jungfrau näher zu sein.«
»Das erscheint mir noch nicht einmal besonders ungewöhnlich. Viele Künstler weihen ihr Leben einer bestimmten Idee oder Gott und seinen Heiligen.«
»Ohne dabei zum mordenden Wahnsinnigen zu werden, meint Ihr.«
»Das meine ich. Einzig die Tatsache, dass seine Opfer alle etwas mit der Ursula zu tun hatten, lässt auf den Wahnsinn, welcher Art auch immer, schließen.
»Vielleicht ist es ja etwas weit hergeholt, Meister Krudener, aber einige Ereignisse waren mit jener Ursulaerscheinung in seinem Leben eng verbunden: der Tod seiner Mutter und die Vergewaltigung Lenas durch den Pfarrer. Bertram ist das Ergebnis dieser Tat. Der Pfarrer hingegen wurde mit durchschnittener Kehle in seinem Garten aufgefunden. Der Vater nahm sich kurz darauf aus Gram über den Fehltritt seiner Tochter das Leben.«
Krudener starrte Almut verblüfft an.
»Bei allen Göttern, Frau Sophia, das ist wahrlich eine explosive Mischung von Zutaten. Ein unreifer, empfindsamer Junge, der Tod der Mutter, der Selbstmord des Vaters, die Schändung der jungfräulichen Schwester, der Mord an einem bigotten Priester … Er wird vollkommen aus dem Gleichgewicht gewesen sein.«
»Und die heilige Ursula war sein einziger Halt in dieser zerberstenden Welt.«
»So widmete er ihr seine Arbeit denn nicht aus Überlegung und Demut, sondern aus Leidenschaft. Und leidenschaftliche Gefühle können einen Menschen zum Wahnsinn verleiten.«
»Arme Pia, arme Lissa!«, murmelte Almut, die trotz ihrer kühlen Schlussfolgerungen noch immer unter der Erinnerung an die beiden zerbrechlichen Mädchenkörper litt, die sie gefunden hatte. »Warum solche unschuldigen Kinder? Was steckt hinter dieser Leidenschaft? Hass? Rache? Wut?«
»Fragt mich nicht, Frau Almut. Die Zahl der Dämonen ist groß.«
Trine, die wieder das Gespräch beobachtet hatte, zupfte ihren Lehrherrn jetzt am Ärmel.
»Ich erkläre es dir nachher in Ruhe«, gab er ihr zu verstehen, aber sie wollte etwas anderes von ihm. Mit eiligen Fingerbewegungen und einigen Grimassen redete sie auf ihn ein.
»Ja, ja, Trine, ich berichte ja schon!« Schmunzelnd schüttelte Krudener den Kopf. »Sie hat eine entsetzliche Art, sich durchzusetzen.«
»So Ihr es zulasst!«
Auch Almut lächelte, und er hob hilflos die Schultern.
Doch die Heiterkeit verflog, als sie hörte, was geschehen war.
»Der Schreinemaker war heute Vormittag hier. Er hatte von seiner Schwester den Auftrag, einige seltene Gewürze zu erstehen.«
»Ich hoffe, Ihr habt ihn nicht mit Trine alleine gelassen.«
»Ich hatte die Wahl, ihn mit in die Keller zu nehmen oder ihn vorne an der Theke bei Trine zu lassen.«
»Ich habe ihn beobachtet, Almut. Er war neugierig und wäre gerne in das Laboratorium gegangen. Aber ich war sehr abweisend. Dabei ist mir eine Idee gekommen. Könnte ich ihn nicht versuchen zu verlocken? Ihr könntet heimlich auf mich aufpassen und ihn erwischen.«
»Du bist von Sinnen, Trine!«, fuhr Almut auf, und Krudener schloss sich an: »Auf gar keinen Fall!«
»Aber sonst wird er noch mehr Mädchen umbringen. Ihr beide wisst das doch. Und der Pater weiß es auch. Er wird bestimmt über mich wachen.«
»Du hast großes Vertrauen zu Pater Ivo, will mir scheinen.«
»Du doch auch, Almut.«
»Sicher, doch unfehlbar ist auch er nicht. Wir wissen nicht, was den Schreinemaker zum Mord verleitet, Trine. Wir wissen nur, dass es etwas mit der heiligen Ursula zu tun hat.«
»Richtig. Was in seinem wirren Geist vor sich geht, das entzieht sich noch immer unserer Kenntnis.«
»Hat er sonst noch irgendetwas gesagt oder getan, als er bei Euch war, Meister Krudener?«, wollte Almut wissen.
»Allgemeine Floskeln. Er kaufte Ingwer und Paradieskörner, einige Unzen Pfeffer, Kardamom und etwas Safran. Nichts Außergewöhnliches.«
»Aber zum ersten Mal, nicht wahr? Lena bezieht ihre Gewürze üblicherweise nämlich auf dem Markt bei einer Drugwaren-Händlerin.«
»Vielleicht war sie nicht da, vielleicht empfahl sie mich...«
»Vielleicht suchte er etwas bei Euch.«
»Dämonen?«
Bedächtig nickte Almut.
»Achtet auf Euch, Meister Krudener. Die Gerüchte haben neue Nahrung bekommen. Es heißt, Eure Keller reichten tief bis in die Hölle, sodass Ihr Euch deren Geister dienstbar machen könnt. Und nur die Gebeine der heiligen
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