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Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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ihnen entgegen, als er die Tür aufzog. Mit der zweiten Fackel in der Hand ging der Apotheker voran über die ausgetretenen Steinstufen. Es war trocken und ein wenig staubig, aber nicht sonderlich angsteinflößend. Dann aber betraten sie eine Kammer, in der einige Sarkophage standen, und Almut hielt den Atem an.
    »Eine Grabkammer?«
    »Ganz richtig. Sehr alt, wie Ihr seht. Vielleicht sind es die Bewohner jenes Hauses, die man hier zur Ruhe gebettet hat. Und andere.«
    Er steckte seine Fackel in einen Halter an der Wand und nahm auch Almuts an sich. Die Flammen leuchteten in eine Ecke, und unter den geborstenen Deckeln der steinernen Särge bleckten fleischlosen Schädel in ewigem Grinsen ihr Gebiss.
    Almut zuckte bei ihrem Anblick zurück, riss sich aber dann zusammen und trat näher.
    »Fürchtet Ihr sie, Frau Almut?«
    »Ich weiß nicht. Sie sind mir fremd, diese Menschen. Ihr Fleisch ist zu Staub geworden, geblieben sind nur die spröden Knochen. Aber was ist mit ihrem Geist, Meister Krudener? Was, wenn sie sich gestört fühlen durch unser Hiersein?«
    »Glaubt Ihr, die Seele bleibt bei seinem verfallenen Körper?«
    Zweifelnd betrachtete sie die stummen Gebeine.
    »Ihre Seelen sind bei Gott. Oder?«
    »Oder im Hades oder auf den grünen Feldern Elysiens. Oder nirgendwo. Ich, Frau Almut, weiß es nicht. Aber hier sind sie nicht.«
    »Nein, hier sind sie nicht.« Nach einer gedankenschweren Pause flüsterte sie leise: »Und Ihr seid kein sehr gläubiger Christ.«
    Ein krächzendes Lachen war die Antwort.
    »Nein, Frau Begine, das bin ich nicht. Darum ist es ganz gut, dass nur ich von diesen Katakomben weiß. Und Ihr, falls Ihr einmal Hilfe benötigen solltet. Denn einen leichten Hang zum ketzerischen Denken habt Ihr auch.«
    »Ja, aber …«
    Meister Krudener zwinkerte ihr vertraulich zu und meinte dann: »Sonst würdet Ihr Euch nicht mit Ivo so gut verstehen, nicht wahr?«
    Vielleicht war es die ungewohnte und ungewöhnliche Atmosphäre in der Grabkammer, denn diesmal begehrte Almut nicht auf. Ja, sie hatte sogar ganz plötzlich das drängende Bedürfnis, über den Benediktinerpater zu sprechen, von dem sie wusste, dass ihn irgendein wichtiges Geschehen aus der Vergangenheit mit Krudener verband.
    »Meister Krudener, woher kennt Ihr Pater Ivo?«
    Der Apotheker lehnte sich an einen Sarkophag und sah Almut mit einer seltsamen Miene an.
    »Er hat es Euch nicht erzählt?«
    »Er schweigt über seine Vergangenheit tiefer als jedes Grab.«
    »Was naturgemäß Eure Neugier auf das Äußerste anstachelt. Aber sei es drum, ich will Euch erzählen, was ich weiß. Obwohl - manches habt Ihr schon erraten, als Ihr an seinem Siechenlager saßet, nicht wahr?«
    Vor zwei Monaten hatte Almut einige Tage lang die Erlaubnis gehabt, den vom Prior der Benediktiner misshandelten Pater an seinem Krankenbett zu besuchen, und musste dabei den Worten lauschen, die er in seinen erschreckenden Fieberträumen stammelte.
    »Ja, ein wenig.«
    »Nun, ich lernte ihn in Granada kennen, vor sechzehn Jahren. Ivo hatte meinen Herrn, einen begnadeten maurischen Arzt, aufgesucht und traf dabei auch mich, der ich als Gehilfe für ihn arbeitete. Wir fanden Gefallen aneinander und schlossen Freundschaft. Doch ich war nicht frei, und mein Schicksal wäre äußerst ungewiss gewesen, wenn er nicht gehandelt hätte. Denn mein Herr, schon betagt und leidend, starb eines Nachts in meinen Armen. Ivo verhalf mir zur Flucht aus dem Haus.«
    »Ich verstehe nicht, Meister Krudener. Wieso musstet Ihr fliehen? Hattet Ihr ein Verbrechen begangen?«
    »Nein, Frau Almut. Nicht in unserem Sinne. Das Verbrechen beging ich erst mit der Flucht. Ich war meines Herrn Sklave.«
    »Oh.«
    »Mein Vater, auch er war ein Arzt, nahm mich als Jüngling mit auf eine Reise in den Orient, wo er seine Studien zu vervollkommnen wünschte. Wir wurden jedoch überfallen. Und ich - damals, Frau Almut, war ich noch ein hübscher Bursche - wurde gefangen genommen und für teures Geld verkauft.«
    »Oh.«
    »Ich hatte es so schlecht nicht getroffen. Mein Herr fand mich klug genug, sein Helfer zu werden, und ließ mich lernen, bildete mich aus und ernannte mich zu seiner rechten Hand. Doch mit seinem Tod hätte sich für mich alles geändert. Sein Schutz war von mir genommen, und man hätte mich mit Sicherheit weiterverkauft. Nun ja, Ivo wusste es zu verhindern und half mir, hier nach Köln zu gelangen. Er versorgte mich auch mit einem kleinen Anfangskapital, und mit meinem Wissen über

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