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Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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den grauen Arbeitskittel der Beginen gewählt und versteckt Euer Haar unter einem straffen Gebände. Aber trotz allem erkennt man Eure wohlgestalten Glieder. Eure Haltung ist aufrecht und voll Würde, Euer Antlitz ebenmäßig und sein Ausdruck lebhaft. In einem anderen Gewand - und Ihr wisst selbst nur zur Genüge, welche Verwandlung weicher Stoff, fließende Schleier und schmeichelnde Pelze bewirken - geltet Ihr jederzeit als Schönheit. Und, Frau Begine, Euer Verstand ist ebenso durchdringend wie wissbegierig.« Meister Krudener drehte sich um, griff hinter einen der Sarkophage und holte ein Kästchen hervor. Er fasste zielbewusst hinein und hielt einen glitzernden Stein in der Hand. »Die Dame de la Castra war ein Diamant, ihr Geist ebenso gleißend und kalt wie dieser Kristall und scharf wie eine Dolchklinge. Eurer dagegen ist wie dieser Edelstein.« Er reichte Almut einen rundgeschliffenen Anhänger, der im Schein der Fackeln goldseiden schimmerte wie die Augen einer nächtlich schweifenden Katze. »Ihr seid mit einer natürlichen Weisheit des Herzens gesegnet, Frau Sophia, und mit einer wunderbaren Tiefe der Empfindung. Was Euch aber wirklich zum Funkeln bringt, ist Euer Lachen.«
    Verwundert und überaus verlegen, weil Krudener sie wieder einmal mit dem Namen der Weisheit - Sophia - anredete, drehte Almut den Stein in den Händen.
    »Er ist so schön. Wie nennt man ihn? So etwas habe ich noch nie gesehen.«
    »Ein Tigerauge. Behaltet ihn und tragt ihn unter Eurer Kleidung. Es heißt, er schütze seinen Träger vor falschen Freunden.«
    »Danke, Meister Krudener. Ihr seid sehr gut zu mir.«
    »Es ist mir ein Vergnügen, Frau Almut.«
    Doch plötzlich verengten sich ihre Augen.
    »Ihr bewahrt hier unten nicht nur Vorräte auf?«
    »Nein, meine kluge Beobachterin. Ich habe in meinem langen Leben gelernt, auch gegen unliebsame Übergriffe gerüstet zu sein. Hier unten gibt es einen Fluchtweg aus der Stadt. Alte Aduchte führen bis zum Rhein hinunter. Falls es einmal nötig sein sollte, habe ich auch dieses kleine Vermögen hier zwischen den Gebeinen versteckt. Aber nun wollen wir wieder in die oberen Gefilde steigen.«
    Almut ergriff ihre Fackel und folgte schweigend dem Apotheker. Er schloss sorgsam die Tür und nahm das Kästchen mit dem Zucker an sich. Dann stiegen sie die Treppe empor in das Laboratorium.
    Ganz offensichtlich hatte man sie nicht vermisst. Gertrud, Sanna, Trine und der geckenhafte Bruder Jakob unterhielten sich mit größter Lebhaftigkeit, und der Krug mit dem Bier schien sich regen Zuspruchs zu erfreuen. Sanna alberte mit Trine herum, die sie kitzelnd in die Rippen zwickte. Mit ihren Händen bat das taubstumme Mädchen mit einer dramatischen Gebärde um Hilfe, lachte dabei aber über das ganze Gesicht. Almut hob warnend den Finger, und Sanna ließ sie los. Daraufhin reichte Trine Almut einen Becher mit leichtem Wein, den sie lieber trank, füllte für Meister Krudener ein schäumendes Bier in den Becher. Der bunte Bruder Jakob musterte sie mit neuem Interesse und meinte dann mit einer gewissen Achtung in der Stimme: »So, so, Ihr seid Frau Almut, wie ich inzwischen lernte. Jene tatkräftige Begine, die unserem Pater Ivo so hilfreich zur Seite stand und das Geheimnis der kopflosen Frau löste. Meine Wertschätzung.«
    Verlegen wand sich Almut bei dem unerwarteten Kompliment, und Gertrud sprang ihr mit einer Frage bei.
    »Hast du das süße Zeug bekommen, Almut?«
    Die Begine deutete auf das Kästchen.
    »Schön, ich habe auch alles, aber du hattest doch noch eine Bitte an Meister Krudener. Wegen Bertram.«
    »Oh, beinahe hätte ich es vergessen. Danke, Gertrud.«
    »Nun, mit welcher Art von Wissen kann ich Euch oder jenem Bertram dienen?«
    »Unsere neue Nachbarin hat einen Sohn, er mag wohl so an die sechzehn Jahre alt sein, der seit einiger Zeit an schrecklichen Krampfanfällen leidet. Kennt Ihr diese Krankheit und wisst Ihr ein Heilmittel dagegen?«
    »Beschreibt mir die Anfälle näher, Frau Almut.«
    Sie tat es, und er nickte bedachtsam.
    »Die Fallsucht oder die Valentinskrankheit. Manche nennen sie auch die heilige Krankheit.«
    »Heilig ist sie gewiss nicht!«, protestierte Bruder Jakob. »Es ist eine Form der Besessenheit, verursacht durch den Einfluss der höllischen Geister.«
    »Gemach, Bruder Jakob, gemach. Seid da nicht vorschnell mit Eurem Urteil. Ich habe in meinem Leben einige Menschen kennengelernt, die an diesen Krämpfen litten. Oftmals, so habe ich festgestellt, sind es

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