Die elfte Jungfrau
Bruder Jakob. Es ist eine ungewöhnlich farbenprächtige Gewandung, die Ihr da tragt.«
»Auf meinen besonderen Wunsch hergestellt. Nicht jeder kann diese Farben tragen.«
»Wohl wahr!«
»Die Jungfer Sanna hat sie bereits sehr bewundert, die junge Alchimistin hier jedoch hält das Grün für zu grell. Aber ihr Bier ist köstlich!«
Während seiner Ausführungen hatte er Sanna die Hand getätschelt und Trine hinten auf die Röcke geklopft. Über seinen Kopf hin verdrehte diese vielsagend die Augen.
»Ja, sie hat ein gutes Händchen für all diese geheimnisvollen Prozesse. Ob nun die Wandlung der Prima Materia in edles Metall oder den Morgenbrei in ein Festmahl!«, ergänzte Krudener, der mit Gertrud ebenfalls eintrat. Auch sie begrüßte Trine mit Herzlichkeit.
Almut nahm das zum Anlass, sich an den Apotheker zu wenden.
»Ich brauche ein Kästchen von Eurem Zucker, Meister Krudener.«
»Wem wollt Ihr damit die harsche Wahrheit versüßen, die Euch gelegentlich über die Lippen kommt, Frau Almut?«
»Niemandem. Franziska, die Ihr als unsere Leihköchin kennengelernt habt, heiratet morgen, und wir möchten ihr ein Geschenk machen. Ich erinnerte mich daran, wie außerordentlich begeistert sie zu Weihnachten von diesem süßen Stoff war.«
»Nicht nur sie. Doch es ist ein kostspieliges Pulver...«
»Wir können es uns leisten. Die Meisterin hat mir genug Geld für ein paar Unzen mitgegeben.«
»Nun denn. Ich fülle Euch ein Kästchen ab. Folgt mir!«
Mit langen Schritten durchquerte er den Raum und wies auf eine Stiege, die in den Keller führte. Mit einem Handlicht leuchtete er ihr voran und zündete unten in den Gewölben zwei Fackeln an, die den kühlen, trockenen Raum erhellten. Erschrocken fuhr Almut zurück, als sie eine anscheinend lebendig gewordene Dämonenfratze von einem Schrank in einer Ecke angrinste.
»Holz, nichts als Holz, Frau Almut. Doch sehr wirkungsvoll bei passender Beleuchtung.«
Als sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, nahm ihr Erstaunen noch zu. Sie stand auf einem kunstvoll gearbeiteten Mosaikboden, auf dem sich erstaunlich farbenprächtiges Getier tummelte. Marmorsäulen stützten das Gewölbe über ihr, und dort, wo die Wände nicht mit Fässern und Truhen, Kisten und Säcken verstellt waren, gab es Reste abgeblätterter Wandbemalung.
»Wo sind wir hier, Meister Krudener? Das wirkt ja fast wie in einer Kirche.«
»O nein, nein. Dies sind die Überreste eines uralten Wohnhauses. Sicher das einer reichen Familie, denn es war einmal kunstvoll und prächtig ausgestattet. Seht diese Statuen und die Säulenkapitelle.«
Mit fachkundigem Blick erkannte Almut die feine Steinmetzarbeit und fuhr ehrfürchtig über das zierliche Blattwerk.
»Ja, hier haben Künstler gearbeitet. Auch dieser Dämon, obwohl er schrecklich wirkt, ist außerordentlich gut geschnitzt. Man könnte die Schlangen um sein Haupt geradezu zischeln hören!«
»Ein Gorgonenhaupt, Medusa genannt, Frau Almut. Die Sage berichtet, es erstarrte jeder, der sie anblickte, zu Stein!«
»Oh, eine heidnische Dämonin!«
»Eine griechische.«
Almut trat noch etwas näher, traute sich aber nicht, sie zu berühren. Inzwischen füllte der Apotheker ein Kästchen mit Zucker ab, den er aus einer Holzlade entnahm.
»Hinter dieser - äh - Medusa ist ja noch ein Durchgang!«, entfuhr es Almut, die mit neugierigen Fingern die Schranktür geöffnet und die fast verborgene Tür in dem Mauerwerk dahinter entdeckt hatte.
»Oh ja, da ist noch ein Auslass. Es gibt viele Geheimnisse unter den Mauern der Stadt, Frau Almut.«
»Habt Ihr schon einmal dahintergeschaut?«
»Aber natürlich.« Der Apotheker stellte das Kästchen ab und wies auf den schweren Riegel. »Ich trage mich allerdings mit dem Gedanken, ein weiteres Schloss daran anzubringen, seit sich neulich einmal einer der Lastträger zufällig dort hinein verirrt hat. Es wäre meinem Ruf nicht sonderlich förderlich, wenn bekannt würde, dass ich einige Leichen im Keller beherberge!«
Almut musste einmal trocken schlucken.
»Leichen?«
»Tote, Gebeine, Frau Almut. Habt Ihr Angst vor den Toten?«
»Na ja... Ich meine, ich habe schon oft bei Sterbenden gesessen und auch schon häufig dabei geholfen, die Verstorbenen aufzubahren. Aber da waren es irgendwie noch Menschen!«
Es zeichnete sich leichter Spott in Krudeners Zügen ab, als er ihr die Fackel reichte.
»Nur Mut, Frau Begine!«
Der Riegel glitt erstaunlich lautlos zur Seite, und ein kühler Lufthauch wehte
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