Die elfte Jungfrau
mit dem Unterricht fertig waren, hat er zwar ganz unbeteiligt getan, aber ich bin sicher, er hat sie sich gründlich angesehen. Die Lissa hat einmal zu ihm hingelinst. Er ist aber dann in die andere Richtung gegangen.«
»Wenn er wieder auftaucht, werden wir ihn ansprechen müssen. Mir gefällt das nicht, Bela.«
»Junge Mädchen und junge Männer ziehen einander an, Almut. Ich würde das nicht so wichtig nehmen.«
16. Kapitel
I n dem gewölbten Silber spiegelte sich ein hochgewachsener Mann. Sein graues, kurz geschnittenes Haar verwies an frühere Schwärze, und auch in seinem Bart zogen sich vom Mundwinkel aus zwei dunkle Strähnen zu seinem energischen Kinn hin. Schwarz waren aber noch die Augenbrauen, die jetzt kritisch zusammengezogen waren. Die breiten Schultern bedeckte eine dunkelgrüne Houppelande und fiel, seitlich geschlitzt, wie es zur Reitkleidung passte, bis zu den Knien. Ärmel und Saum waren mit Pelz besetzt, die darunter getragene Hose aus feinem Wildleder, die wadenhohen Stiefel ebenfalls. Noch war das Obergewand nicht gegürtet, und darunter kamen Wams und Hemd zum Vorschein. Wenig Zierrat bot die Gewandung, doch die Tuche waren von bester Qualität und die Pelze edel.
Er legte den Gürtel an und zog den Stoff glatt. Noch immer sah er unverwandt in den Spiegel an der Wand.
Das Weib des Schneiders lugte neugierig um die Tür. Schon geraume Zeit hatte der Kunde damit verbracht, die bestellte Kleidung anzuprobieren. Und er benahm sich eigenartig. Als würde er sich selbst nicht wiedererkennen, als müsste er erst vertraut werden mit jenem Spiegelbild, das er so eindringlich betrachtete.
»Wer ist der Mann, Heinrich?«, fragte sie schließlich flüsternd den Schneidermeister.
»Der Herr Ivo vom Spiegel.«
»Herr Ivo vorm Spiegel!«, kicherte das unbotmäßige Weib, und ihr Gemahl rügte sie mit einem scharfen: »Pssst!«
»Aber er spreizt sich vor dem Spiegel wie ein Pfau. Dabei trägt er doch nur ganz gewöhnliche Kleider.«
»Er mag seine Gründe dafür haben, du neugieriges Hühnchen!«
»Und welche?«
Der Schneidermeister war erst seit kurzem mit seiner jungen Frau verheiratet, und er hatte eine erfreuliche Zuneigung zu dem gewitzten Geschöpf gefasst, die es ihm schwer machte, die patriarchalische Strenge aufrechtzuhalten.
»Er trug die Kutte der Benediktiner, als er hier eintrat«, flüsterte er vorsichtig. »Scheint, als müsse er sich erst wieder an die weltliche Kleidung gewöhnen.«
»Oh!«, entfuhr es dem jungen Weib, und da auch sie eine erfreuliche Zuneigung zu ihrem Gemahl hegte, fügte sie mit einem Wimpernflattern hinzu: »Nun, auch Mönche sind Männer, nicht wahr? Und wer weiß, welch heimliche Liebschaft er pflegt. Hoffentlich erwischt ihn sein Abt nicht!«
»Kein solch romantischer Anlass, mein Täubchen. Er trägt die weltliche Kleidung mit Billigung seines Oberen, behauptet er. Um eine Reise für das Kloster zu unternehmen.«
»Ooch. Aber - nun ja, die Frauen werden schon nicht wegschauen, wenn er sich so auf der Gasse zeigt! Auch wenn seine Miene ziemlich grimmig ist.«
»Aber du, Herzliebchen, wirst jetzt wegschauen!«
Da er sie zu diesem Zwecke zu sich umdrehte und sie zärtlich küsste, verlor der Herr vom Spiegel vor dem Spiegel ihre Aufmerksamkeit.
17. Kapitel
M eister Krudener kennt einen Zauber, der den Menschen die Zähne ausfallen lässt!«, bedeutete Trine und grinste von einem Ohr zum anderen, als sie Almut in deren Kammer ein Kästchen mit Butterkaramellen reichte. »Probier ihn mal. Er ist aus geschmolzener Butter, Sahne und darin aufgelöstem Zucker. Aber es klebt ein bisschen zwischen den Zähnen.«
Almut, die keiner süßen Leckerei widerstehen konnte, biss vorsichtig in das braune Würfelchen. Wortlos verdrehte sie die Augen.
»Gut, nicht?«
»Manna vom Himmel und reine Paradiesspeise!«
»Ich habe sie für dich aufgehoben, dem verfressenen Pater da unten wollte ich sie nicht anbieten.«
Trines lebhaftes Mienenspiel und pantomimische Gesten waren für Almut fast so deutlich zu verstehen, als wenn sie gesprochen hätte. Und dem Mädchen waren Almuts Gesten und ihr Gesichtausdruck so vertraut, dass auch sie sie ohne Schwierigkeiten zu deuten wusste.
»Am Hof des Erzbischofs muss es sehr karg zugegangen sein. Ich kann mich nicht erinnern, dass er früher so gefräßig war.«
»Ist doch kein Wunder. Ihn hat seine Haushälterin verlassen.«
»Na, dann soll er sich gefälligst eine neue suchen.«
Trine hatte auf dem Holzstuhl neben dem
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