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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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scheinen, wo das milde Zitruslicht sie berührt und sie es zurückweisen wie den Kuß eines Masochisten. Hinter ihren Schritten entspannt sich der Teppich deckenwärts, Sohlen- und Absatzeindrücke verschwinden sichtbar langsam aus dem wolligen Flor. Ein einzelner Raketeneinschlag hallt dumpf über die Stadt, weit aus dem Osten, Ostsüdost. Das Licht um ihre Schuhe flutet und stockt wie nachmittäglicher Straßenverkehr. Sie hält inne, plötzlich an etwas erinnert: bebende Uniformen, seidene Einschlagfäden, die zu Tausenden erzittern, während das kalte Licht oben dahingleitet, und wieder ihre ungeschützten Rücken berühren. Die Gerüche nach glimmendem Moschus und Sandelholz, nach Leder und verschüttetem Whisky hängen in dichten Schwaden im Raum.
    Und er - passiv wie in Trance - erlaubt ihrer Schönheit: in ihn einzudringen oder ihn zu meiden, ganz wie es ihr beliebt. Was könnte er anderes sein als ein scheuer
    Empfänger, eine Stimme im Schweigen? Alle Radien dieses Raumes gehören ihr, glasiges Cellophan, das richtungslos knistert, als sie sich auf der Achse ihres Absatzes dreht, aber durchbohrend, als sie ihren Weg gegengleich fortsetzt. Kann es denn sein, daß er sie schon fast ein Jahrzehnt lang liebt? Es ist unfaßlich. Die Kennerin der "wunderbaren Schwächen", getrieben nicht von Begierde oder selbst von Launen, sondern von einem Vakuum: von der Abwesenheit jeder menschlichen Hoffnung... sie macht ihm angst. Eine erotische Nihilistin - irgend jemand hat sie mal so genannt. Sie alle, Cherrycoke, Paul de la Nuit, wahrscheinlich sogar der junge Trefoil und angeblich auch Margaret Quartertone, sie alle werden nur benutzt für diese Ideologie der Null... dienen nur dazu, Noras große Verweigerung noch furchteinflößender zu machen. Denn ... sollte sie ihn tatsächlich lieben: sollten alle ihre Worte, all diese Jahre voller Zimmer und Gespräche wirklich etwas bedeuten, sollte sie ihn lieben und sich ihm dennoch verweigern, gegen die 5-zu-2-Chance sein Geschenk zurückweisen, die Gabe, die in jeder seiner Zellen steckt... dann ... Falls sie ihn liebt. Er ist zu passiv, hat nicht den Mumm, ranzugehen, wie Cherrycoke es versucht hat ... Schon ein merkwürdiger Bursche, dieser Cherrycoke. Er lacht zu oft. Nicht einmal grundlos, aber über etwas, von dem er glaubt, daß alle anderen es ebenfalls sehen können. Wir sitzen allesamt in einer hirnrissigen Wochenschau, der Strahl des Projektors fällt milchigweiß durch den Qualm der Pfeifen und Stumpen, Abdullas und Woodbines ... die lichtgesäumten Profile von Militärs und jungen Damen sind Wolkenränder: der mannhafte Krepp einer Schirmmütze, der in das dunkle Kino säbelt; die schimmernde Rundung eines seidenbestrumpften Beins, das lässig mit den Zehen zwischen zwei Rückenlehnen der Vorderreihe hängt; die scharfumrissenen Samtturbane mit fiederigen Augenwimpern darunter. Zwischen den kraftlosen und lüsternen Paaren dieser Nacht lacht Ronald Cherrycoke sein Lachen und erträgt seine Einsamkeit, spröde, zerbrechlich, schon Gummi aus den Sprüngen schwitzend, ein seltsamer Mackintosh von äußerst instabilem Plastik ... Von allen ihren wunderbaren Schwächlingen ist er es, der die gefährlichsten Reisen in ihre Leere unternimmt, wo er nach einem Herzen sucht, das seinen Rhythmus schlägt. Es muß sie verblüffen, Noradie-Herzlose, wie Cherrycoke vor ihr kniet, in ihren Seidenhüllen wühlt und alte Geschichte in wirbelnden Strömen durch seine Hände fließen läßt - Tücher in Limonen-, Aquamarin- und Lavendelfarben, Nadeln, Broschen, opalisierende Skorpione (ihr Sternzeichen) in goldenen Dreischenkelfassungen, Schuhschnallen, Fächer mit ergrauendem Perlmuttbesatz, Theaterzettel, Strumpfhalter und schwarze, hauchdünne Vorkriegsstrümpfe ... Auf ungeübten Knien sucht er mit tastenden, schlangelnden Händen nach den molekularen Spuren ihrer Vergangenheit, die so flüchtig sind in diesem Strom von Gegenständen zwischen seinen Fingern, und sie genießt es, ihn ihre Verweigerung spüren zu lassen und seine Treffer, die oft fast, manchmal genau im Schwarzen liegen, geschickt zu kaschieren, so als führten sie beide eine Salonkomödie auf... Es ist ein gewagtes Spiel, das Cherrycoke hier spielt. Oft fürchtet er, von der schieren Fülle der Informationen, die durch seine Finger in ihn eindringen, übersättigt und ausgebrannt zu werden ... sie scheint entschlossen, ihn mit dem Schmerz ihrer Geschichte zu überwältigen, dessen Schärfe, stets frisch vom

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