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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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hat mit Franz ... da ist etwas mit Peter, eine unschöne Streitsucht, typisch für Erdzeichen, die ab und zu in ihm hochkommt... Sie ist sich seiner Stimmungen in letzter Zeit nie sicher. Er scheint unter einem Druck zu stehen, der wohl von höheren Ebenen ausgeht als gewöhnlich, und er wird nicht gut damit fertig
    Doch Peters schlimmste, kindischste Wutanfälle sind immer noch besser als die ruhigsten Abende mit ihrem fischegeborenen Mann, wenn er im Ozean seiner Phantastereien herumschwimmt, durchtränkt von Todessehnsucht und Raketenmystik - Franz ist genau der Typ, den sie wollen. Sie wissen genau, was man mit solchen Leuten machen kann. Sie wissen die meisten Menschen zu benutzen. Was wird aus jenen werden, die sie nicht benutzen können? Rudi, Wanja, Rebekka, ein Griff ins volle Menschenleben von Berlin, ein neues Meisterwerk der Ufa: der Boheme-Student vom Dienst, der Slawe vom Dienst, die Jüdin vom Dienst, schaut uns nur an - die Revolution! Natürlich gibt es keine Revolution, auch nicht im Kino, keinen deutschen Oktober, nicht hier in dieser "Republik". Die Revolution starb, als Lern noch ein junges Mädchen war und unpolitisch, mit Rosa Luxemburg. Das einzige, woran man heute glauben kann, ist eine Revolutioniminneren-Exil, eine Kontinuität, die die Weimarer Jahre am äußersten Rand überdauert und auf ihre Stunde, auf ihre Reinkarnation der Luxemburg, wartet...
    EINE ARMEE VON LIEBENDEN KANN GESCHLAGEN WERDEN. Solche Sachen erscheinen im Laufe der Nacht an den Mauern der roten Bezirke. Verfasser oder Schreiber werden nie bekannt, was den Verdacht nahelegt, daß es sich jeweils um ein und dieselbe Person handeln muß. Genug, um einen an ein kollektives Volksbewußtsem glauben zu lassen. Es sind kaum Propagandasprüche, die da an den Mauern stehen - es sind Texte, die geschrieben werden, um meditiert, um weitergedacht, um vom Volk in Handlung umgesetzt zu werden ... "Es stimmt", jetzt Wanja, "seht euch die Formen an, in denen sich der Kapitalismus ausdrückt. Es sind Pornographien: Pornographien der Liebe, der erotischen Liebe, der christlichen Liebe, der Kindmitseinem-Hund-Liebe Pornographien von Sonnenuntergängen, Pornographien des Tötens und Pornographien der Deduktion -ahhh, dieses wollüstige Stöhnen, wenn wir den Mörder erraten -, all diese Romane und Filme und Songs, mit denen sie uns einlullen, sie sind Annäherungen, mehr oder weniger tröstliche Annäherungen an diesen einen Absoluten Trost." Eine kurze Pause, die Rudi ein säuerliches Grinsen erlaubt. "Den selbst herbeigeführten Orgasmus." "Absolut?" Rebekka rutscht auf bloßen Knien zu ihm hin, um ihm das Brot zu geben, das noch ganz feucht ist, schwitzt, von der Berührung ihres nassen Mundes. "Zwei Leute machen -"
    "Daß es zwei sind, ist die offizielle Lesart", fast wirkt Rudis Lächeln süffisant. Ein wenig traurig, und hier nicht zum erstenmal, kommen ihr die Worte Männerherrschaft in den Sinn ... warum nur hängen sie derart an ihrer Wichserei? "Doch in der Natur ist das fast unbekannt. Meistens bleibt es ein einsamer Akt. Du weißt es doch." "Ich weiß, daß es das gibt: zusammen da sein." Mehr erwidert sie nicht. Obwohl sie nie miteinander geschlafen haben, meint sie es vorwurfsvoll. Er aber wendet sich von ihr ab, wie wir das tun, wenn sich jemand auf einen Glaubenssatz zurückzieht, peinlich und unnütz, sich weiter damit zu befassen.
    Leni weiß, aus ihrer vergeudeten Zeit mit Franz, gut genug, wie es ist, alleine zu kommen. Zuerst kam es ihr gar nicht, weil er so passiv war. Dann begriff sie, daß sie tun konnte, was sie nur wollte, um diese Freiheit auszufüllen, die seine Passivität ihr gewährte. Das machte es angenehmer: Sie konnte alle Zärtlichkeiten zwischen ihnen träumen (und träumte bald auch von anderen Männern) - aber sie begann, sich noch einsamer zu fühlen. Dennoch wollen ihre Falten nicht tiefer, ihre Lippen nicht schärfer werden in diesem Gesicht, mit dem sie sich immer wieder selbst überrascht. Es ist das Gesicht eines tagträumenden Kindes, das jeden betrügt, der sie betrachtet, genau die unscharf rundliche, konturenweiche Schwäche, die die Männer verleitet - sogar bei Peter Sachsa hat sie diesen Blick schon bemerkt -, ein unselbständiges kleines Mädchen in ihr zu sehen. Der Tagtraum aber ist derselbe, in den sie sich schon flüchtete, wenn Franz in seinen düsteren Schmerzwünschen stöhnte, ein Traum von Sanftmut und Licht, in dem ihr verbrecherisches Herz gereinigt wurde, in dem sie nicht

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