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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Boden gesenkt, die blonden Augenbrauen angestrengt gerunzelt, einen Schulranzen auf dem Rücken, die Hände in die Schürzentaschen vergraben ... manche Steine der Mauer waren weiß wie Zahnpasta ... sie mochte ihn bemerkt haben, wie er ihr entgegenkam, doch er war älter, immer mit Freunden... Die Schreihälse ringsum verstummen, werden rücksichtsvoller, beinahe scheu vor Sympathie für Richard und Leni. "Besser spät als nie!" piepst Siggi mit seiner hochgetrimmten Zwergenstimme und reckt sich auf die Zehenspitzen, um Maibowle in alle Gläser zu gießen. Leni geht, von Rebekka begleitet, um sich die Haare neu frisieren und ein wenig heller tönen zu lassen. Zum erstenmal sprechen sie von der Zukunft, schmieden Pläne. Ohne einander zu berühren, haben sich Richard und Leni verliebt, wie sie es schon damals hätten tun sollen. Niemand bezweifelt, daß er sie mit sich nehmen wird ...
    Alte Freunde aus dem Gymnasium sind in den letzten Tagen aufgetaucht, haben exotische Spezialitäten und Wein mitgebracht, neue Drogen, mehr Freizügigkeit und Ehrlichkeit in sexuellen Dingen. Keiner macht sich mehr die Mühe, Kleider anzuziehen. Sie zeigen einander ihre nackten Körper. Niemand sorgt sich wegen der Größe von Schwanz oder Brüsten, niemand fühlt sich bedroht... Alles ist wunderbar locker und entspannt. Leni übt ihren neuen Namen, "Leni Hirsch", manchmal selbst morgens beim Frühstück, wenn sie mit Richard an einem der Kaffeehaustische sitzt: "Leni Hirsch", und er lächelt ein wenig geniert, versucht wegzuschauen, kann ihren Augen nicht entkommen, blickt sie dann endlich an und lacht prustend los, ein glückliches Lachen, während er seine Hand nach ihr ausstreckt, seine glückliche Hand, in die sie ihre Wange schmiegt...
    Ein vielbühniger, früher Abend voller Balkons, Terrassen, Logen, von wo das Publikum, in Gruppen über alle Ebenen verteilt, gebannt nach unten auf ein gemeinsames Zentrum starrt; Galerien mit jungen Frauen, die grüne Blätter um ihre Hüften tragen, immergrüne, hohe Bäume, Rasenflächen, Springbrunnen und nationale Feierlichkeit - der Präsident, soeben im Begriff, den Bundestag mit seiner vertrauten, näselndbelegten Stimme um die Bewilligung eines riesigen Kriegsbudgets zu ersuchen, bricht plötzlich zusammen: "Ach, scheißt drauf ..." Scheißt drauf, das Wort, das bald unsterblich sein wird, schallt über den Himmel, schallt über das Land, ja, scheißt drauf! "Ich schicke alle Soldaten nach Hause. Wir werden die Rüstungsfabriken schließen, wir werden alle Waffen im Meer versenken. Ich habe den Krieg satt. Es macht mich ganz krank, jeden Morgen mit der Angst vor dem Sterben aufwachen zu müssen." Es ist plötzlich unmöglich, ihn noch länger zu hassen: er ist jetzt so menschlich, so sterblich wie jeder andere im Volk. Es wird Neuwahlen geben. Die Linke wird eine Frau aufstellen, deren Name nie genannt werden wird, und doch weiß jeder: es ist Rosa Luxemburg. Als Gegenkandidaten wird man so unfähige oder so farblose Figuren auswählen, daß kein Mensch für sie stimmen wird. Die Revolution wird ihre Chance haben. Der Präsident hat es versprochen.
    Unglaubliche Freude in den Bädern, unter den Freunden. Echte Freude: niemals könnten Ereignisse in einem dialektischen Prozeß eine solche Explosion des Herzens bewirken. Sie sind alle verliebt...
    EINE ARMEE VON LIEBENDEN KANN GESCHLAGEN WERDEN. Rudi und Wanja diskutieren über Taktiken der Straßenaktion. Irgendwo tropft Wasser. Bis hier herein reicht die Straße, macht sich überall bemerkbar. Leni kennt das, haßt es. Die Unmöglichkeit, sich einmal auszuruhen ... ständig der Zwang, Fremden vertrauen zu müssen, die vielleicht für die Polizei arbeiten, wenn jetzt noch nicht, dann später, sobald die Straße so trostlos für sie wird, daß sie sie nicht mehr ertragen ... Sie wünscht, sie wüßte einen Weg, das alles von ihrem Kind fernzuhalten, aber wahrscheinlich ist es dafür längst zu spät. Franz - Franz war selten auf der Straße. Fand immer irgendeine Entschuldigung. Das Risiko, oder daß er womöglich einem der Photographen im Ledermantel vor die Kamera laufen könnte, die sich immer am Rand des Geschehens herumtreiben. Oder: "Was machen wir mit Ilse? Was tun wir, wenn es zu Ausschreitungen kommt?" Wenn es zu Ausschreitungen kommt, was machen wir mit Franz?
    Sie hat versucht, ihm jene Stufe zu erklären, die man erreicht, wenn man voll zu etwas steht, auf der man seine Ängste ablegt, sie völlig verliert und den Augenblick

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