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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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mehr fliehen, nicht mehr kämpfen mußte und ein Mann erschien, der ruhig war und stark wie sie, während die Straße zu einer fernen Erinnerung verblaßte: genau der Traum, den sie sich jetzt, hier draußen, am wenigsten leisten kann.
    Sie weiß, welche Rolle sie zu spielen hat. Vor allem, seit Ilse sie immer aufmerksamer beobachtet. Ilse wird von niemandem benutzt werden. Rebekka streitet immer noch mit Wanja, halb ist es schon ein Flirt. Wanja versucht, alles im intellektuellen Code zu halten, aber die Jüdin zieht ihn immer wieder zum Körperlichen zurück ... so sinnlich: die Innenseiten ihrer Schenkel, gleich über dem Knie, glatt wie öl, die Spannung in all ihren Muskeln, das wache Gesicht, die freche Judenschnauze, vorgespitzt, die flinke Zunge zwischen ihren vollen Lippen ... wie das wohl wäre, mit ihr im Bett? Es nicht nur mit einer Frau zu treiben, sondern mit einer Jüdin ... Die animalische Dunkelheit, die sie haben ... ein schweißnasser Hintern, der ungestüm gegen ihr Gesicht drängt, schwarze Haare, die in einer krausen Sichel aus der Spalte nach den Backen greifen ... das Gesicht über die Schulter zurückgeworfen, lächelnd in rauher Verzückung ... alles ganz überraschend, wirklich, in der Zuflucht eines Augenblicks in einem blaßgelben Zimmer, während die Männer draußen, mit narkotisiertem Grinsen, durch die Korridore wanderten ... "Nein, nicht so fest! Sanft mußt du sein. Ich sag dir schon, wann du schneller werden sollst..." Lenis heller Teint, wie unschuldig sie aussieht, und die dunklere Färbung der Jüdin, ihre Herbheit im Kontrast zu Lenis feinerem Knochenbau und zarterer Haut, die von den Hüftknochen wie ein Zelt aus weichem Gespinst über Leisten und Bauch gespannt wird, und die beiden Frauen gleiten aneinander herab, verknäulen sich, keuchen... Ich weiß, daß es das gibt: zusammen da sein ... und beim Erwachen ist Leni allein, die Jüdin schon draußen, in irgendeinem anderen Zimmer des Gebäudes, und kann sich nicht an den Augenblick erinnern, da sie in ihren alten Kinderschlaf gesunken ist, ein unmerkliches Hinüberwechseln, das es mit Franz einfach nicht gab ... So kämmte sie sich ihre Haare mit den Fingerspitzen, zauste sie in eine Form, die spüren ließ, was sie von der Klientel dieser Nacht hielt, und schlenderte hinunter zu den Bädern, zog sich aus, ohne sich zu kümmern, wer sie dabei beobachtete, und glitt in das körperwarme Wasser, den gewohnten Duft... Plötzlich, durch Geschrei und Feuchtigkeit, die ihr vielleicht die Konzentration erschwerten, sah sie oben, auf einem der Simse, auf sie herunterschauend ... Ja, es war Richard Hirsch, aus der Mausigstraße, so viele Jahre zurück ... sie wußte sofort, daß ihr Gesicht niemals verletzlicher ausgesehen hatte - sie las es in seinen Augen... Um sie herum planschten die ändern im Wasser, vögelten, trugen komische Monologe vor, vielleicht waren es Freunde von ihm - ja, war das nicht Siggi, der gerade mit einem Grätschstoß vorbeizog, der "Troll", wie wir ihn damals nannten, und auch bis heute ist er keinen Zentimeter gewachsen... damals, als wir am Ufer des Kanals nach Hause rannten, stolperten und niederfielen auf die härtesten Pflastersteine der Welt und früh aufwachten, um Schnee auf den Speichen der Wagenräder zu sehen, Dampfwolken aus den Nüstern des alten Pferdes ... "Leni. Leni. ". Richards Haar war glatt zurückgestrichen, sein Körper golden, als er sich herunterbeugte, um sie aus dem dampfenden Wasser herauszuheben an seine Seite.
    "Es heißt, daß du ..." sie ist verwirrt, weiß nicht, wie sie es ausdrücken soll. "Jemand hat mir erzählt, du wärst in Frankreich ... geblieben..." Sie starrt auf ihre Knie. "Nicht einmal die französischen Mädchen hätten mich in Frankreich halten können." Er ist noch neben ihr: sie fühlt, wie er versucht, ihr in die Augen zu blicken: und seine Worte sind so einfach, er ist so lebendig, sicher, französische Mädchen müssen einfach gefährlicher sein als englische Maschinengewehre... sie könnte weinen über seine Unschuld, weiß genau, daß er dort mit keiner zusammengewesen sein kann, daß französische Mädchen für ihn noch immer nichts als schöne und sehr ferne Agentinnen der Liebe sind...
    Nichts von dem Leben, das sie so lange führt, zeigt sich an Leni, nichts. Sie ist wieder das Kind, dem er über die Wege der Anlagen nachschaute oder im braun überkrusteten Licht der Gassen begegnete, wenn sie nach Hause kam, das Gesicht, das breiter wirkte damals, zu

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