Die Enden der Parabel
den sie kannte, sondern als leere Schale -ohne den weichen, fleischigen Pulsschlag der Seele, die lächeln und lieben konnte, die ihre Sterblichkeit spürte, die nun verwest ist oder gefressen von den spitzen Nadelmäulern des Todesper-Regierungsorder - ein Vorgang, der lebendige Seelen gegen ihren Willen in jene Dämonen verwandelt, die der Hauptstrom der abendländischen Magie die Qlippoth nennt, die Schalen der Toten ... ein Vorgang auch, dem die herrschende Ordnung rechtschaffene Männer und Frauen oft schon diesseits des Grabes unterwirft. In beiden Fällen gibt es weder Würde noch Gnade. Mütter und Väter sind konditioniert, willentlich in die Tode ihrer Wahl zu gehen: sie fügen sich Krebs oder Herzattacken zu, geraten in Verkehrsunfälle, ziehen in Kriege, und ihre Kinder lassen sie allein im Wald zurück. Sie werden dir immer erklären, daß einem die Väter "genommen" würden, aber in Wahrheit gehen die Väter einfach weg - darauf läuft es hinaus. Und gegenseitig halten sie sich dabei den Rücken frei. Vielleicht ist diese Anwesenheit hier, die trocken wie Glas durch den Raum streicht, in einen alten Stuhl schlüpft und wieder heraus, sogar besser, als einen Vater zu haben, der noch nicht tot ist, einen Menschen, den man liebt, bei dem man miterleben muß, wie es passiert ...
In der Küche flattert das Wasser gegen die Wandung des Kessels, rüttelt dem Kochen entgegen, und draußen rüttelt der Wind. Irgendwo in der Nachbarschaft rutscht ein Dachziegel und fällt. Roger hat Jessicas kalte Hände an seine Brust gelegt, um sie zu wärmen, spürt sie eisig gefaltet durch Pullover und Hemd. Dennoch steht sie abgewandt, zitternd. Er will sie ganz wärmen, nicht nur komische Extremitäten, wünscht es sich gegen alle Vernunft. Sein Herz flattert wie der kochende Kessel.
Allmählich wird offenbar: wie leicht es ihr fallen könnte, zu gehen. Und erstmals begreift er, warum das wie Sterblichkeit ist, warum er weinen wird, wenn sie ihn verläßt. Er lernt, die Augenblicke zu erkennen, da sie nichts bei ihm hält außer der Kraft seiner dünnen Zwanzig-Liegestütz-Arme ... Wenn sie ihn verläßt, wird es aufhören, wichtig zu sein, wo die Raketen einschlagen. Doch schon ist die Koinzidenz der Karten, Mädchen und Raketentreffer, in ihn eingedrungen, lautlos wie Eis, hat Quislings unter seinen Molekülen in kristalline Gitter kommandiert, die ihn erfrieren. Wenn er häufiger mit ihr zusammen sein könnte ... wenn es geschähe, während sie beisammen wären - früher hätte das vielleicht romantisch geklungen, in einer Kultur des Todes aber gibt es einfach Situationen, die mehr als andere den Nagel auf den Kopf treffen - sie sehen einander zu selten ...
Sollten sie die Raketen nicht erwischen, bleibt immer noch ihr Lieutenant. Dieser verfluchte Beaver/Jeremy ist der Krieg, er verkörpert jede These, die dieser Scheißkrieg jemals aufgestellt hat - daß wir für die Arbeit da sind, für die Regierung, für die Austerität, daß all dies Vorrang haben soll vor Liebe, Träumen, Geist und Sinnen und all den anderen gleichgültigen Banalitäten, die einem in den unbedachten, müßigen Tagesstunden so begegnen ... Der Teufel soll sie holen, sie sind falsch! Sie sind krankhaft! Wie der Erzengel selbst wird Jeremy sich Jess unter den Nagel reißen mit seiner freudlosen, heuchlerischen Hurra-Mentalität, und Roger wird vergessen sein, ein amüsanter Irrer, für den kein Platz mehr ist im rationalisierten Machtritual des Nachkriegsfriedens. Sie wird sich den Befehlen ihres Mannes beugen, wird eine häusliche Bürokratin werden, ein Juniorpartner, und sich an Roger, wenn überhaupt, nur wie an einen Fehler erinnern, den sie zum Glück doch nicht gemacht hat... Oh, er fühlt eine kochende Wut in sich hochsteigen - wie kann er, gottverflucht, wie kann er überleben ohne sie? Sie ist der British Warm, der seine gebeugten Schultern schützt, der überwinternde Sperling, den er zwischen seinen Händen birgt. Sie ist seine tiefste Unschuld zwischen Laub und Heu, als Wünsche noch nicht den Namen hatten, der heute vor der Möglichkeit der
Nichterfüllung warnt und sein geschmeidiges Pariser Freudenmädchen vor dem ewigen Spiegel, das den Essenzen, dem Kapsaffian bis zu den Achselhöhlen, das allem abschwört, was zu einfach wäre, ihn zu verarmen und seiner Liebe zu genügen.
In meinem Inneren gehst du von Traum zu Traum. Du hast Zutritt zu meinen hintersten, verkommensten Winkeln, und dort, im Trümmerschutt, hast du Leben
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