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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Felsen des Cap. Draußen von See winken die Segel eines Bootes, Zwillingssplitter, die von der Sonne und der Entfernung langsam aufgesogen werden, während das Fahrzeug in regelmäßigen Schlägen gegen Antibes kreuzt, nußschalenklein auf der sanften Dünung, die Slothrop förmlich um den Steven zischen hört - wie früher bei den Comets und den Hamptons, die er vor dem Krieg von Cape Cod aus sah, mitten in Landgerüchen nach trocknendem Tang und sommeraltem Bratfett, Sand auf seiner sonnenverbrannten Haut, schneidendes Dünengras unter den nackten Sohlen ... Dicht unter Land zieht ein pedalo voller Soldaten und Mädchen vorüber - sie schaukeln, planschen, rekeln sich auf den grünweiß gestreiften Liegestühlen am Heck. Unten am Wasser spielen kleine Kinder Fangen, schreien, lachen ihr hilfloses, heiseres Kinderlachen, so als würden sie ununterbrochen gekitzelt. Auf der Esplanade sitzt ein altes Paar auf einer Bank, Blau und Weiß und ein cremefarbener Sonnenschirm, eine allmorgendliche Gewohnheit, ein Anker für den ganzen Tag ...
    Sie gehen bis zu den ersten Felsen, wo sie eine Bucht finden, die vom übrigen Strand und dem beherrschenden Casino aus nicht einzusehen ist. Das Frühstück besteht aus Wein und Brot, aus Lächeln, Sonnenlicht, das sich im Netz der langen Tänzerinnenhaare bricht, die niemals stillhalten, zurückgeworfen, hochgeschleudert werden, ein Farbenspiel von Violett, Fuchsrot, Safran, Smaragd ... Für einen Augenblick kann man die Welt vergessen, ist alles Feste aufgebrochen, solang der Wein wie Samt rund um die Zungenwurzel abwärts strömt, die Wärme aus dem Brot unter den Fingerspitzen wartet...
    Bloat unterbricht: "Übrigens, Slothrop, ist das auch 'ne Freundin von dir?" Hm? Wovon redet... Wer, was? Hier sitzt Bloat, geschniegelt, und gestikuliert zu den Felsen rüber und zu einem Tümpel, den die Ebbe -"Jetzt kriegst du , mein Alter!"
    Tja ... sie muß direkt dem Meer entstiegen sein. Auf diese Entfernung, so zwanzig Meter, ist sie nur ein dunkler Umriß in einem schwarzen Bombasinkleid, das zu den Knien reicht. Ihre nackten Beine sind lang und gerade, das Gesicht wird von einer Kapuze aus kurzem, hellblondem Haar beschattet, das gelockt über die Wangen springt. Ihr Blick ist tatsächlich auf Slothrop gerichtet, aha. Der lächelt, bringt eine Art Winken zustande. Sie steht weiter unbeweglich, nur der Wind zerrt an ihren Ärmeln. Slothrop wendet sich wieder ab, um einen Korken zu ziehen, dessen plop den Schrei kontrapunktiert, den eine der Tänzerinnen ausstößt. Tantivy ist schon halb aufgesprungen, Bloat gafft offenen Mundes in Richtung Meermaid, die Danseusen zucken in Abwehrreflexen, Haare wirbeln, Kleider fliegen, Schenkel blitzen -Heilige Scheiße, es bewegt sich - ein Krake!? Ja, der größte, verdammteste Krake, den Slothrop jemals außerhalb eines Kinos gesehen hat, Bruderherz, gerade hat er das Wasser verlassen und sich halbwegs auf einen der schwarzen Felsen geringelt. Jetzt, einen übelwollenden Blick auf das Mädchen werfend,
    streckt er sich aus, schlingt vor aller Augen einen saugnapfbewehrten Tentakel um ihren Nacken, einen zweiten um ihre Taille und schickt sich an, die verzweifelt Zappelnde zurück ins Meer zu schleifen.
    Slothrop ist auf den Beinen, rast, die Flasche in der Hand, an Tantivy vorbei, der einen zögernden Tanzschritt vollführt und die Taschen seines Straßenanzugs nach nicht vorhandenen Waffen abklopft, sieht den Oktopus größer werden, je näher er kommt, wow, verflucht groß sogar - schliddert, einen Fuß in einer Wasserlache, zum Stehen und beginnt, den Kraken mit der Weinflasche in den Kopf zu boxen. Das Mädchen, halb schon im Wasser, versucht zu schreien, aber der Fangarm, der sich klamm um ihren Hals schlängelt, läßt ihr kaum Luft zum Atmen. Sie streckt eine Hand aus, eine zartknochige Kinderhand mit einem stählernen ID-Männerarmband um das Gelenk, und faßt nach Slothrops Hawaii-Hemd, klammert sich fest, und wer hätte das geahnt, daß ihr Letztes auf dieser Welt Ukuleles, ordinärgesichtige Hulamädchen und Wellenreiter sein würden ... o Gott, lieber Gott, bibittebitte! Die Flasche klatscht, wieder und wieder, in das glitschige Krakenfleisch, völlig erfolglos, der Oktopus glotzt Slothrop triumphierend an, während der, im Angesicht des sicheren Todes, seinen Blick nicht von ihrer Hand losreißen kann, unter welcher sich sein Hemd im Takt ihres Entsetzens furcht, ein Knopf an seinem letzten Faden zerrt -er sieht den Namen auf der

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