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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Überraschung, ohne zweite Chance, ohne Wiederkehr. Sie aber bewegen sich schon immer unter ihrem Dach, sind aufgespart für dessen eigene, schwarzweiße Hiobsbotschaften, als wär's der Regenbogen und sie seine Kinder... In dem Maße, wie die Front des Krieges sich zurückzieht, das Casino zum Hinterland, das Wasser dreckiger wird und die Preise klettern, werden die Mannschaften lärmender, die hierher auf Urlaub kommen, sind immer mehr darauf aus, sich als Arschlöcher zu profilieren - keiner ist mehr dabei, der Tantivys Stil hätte, seine Angewohnheit, barfuß zu tanzen, wenn er betrunken war, seine gespielte Geziertheit, seine schüchterne, verhaltene Bereitschaft, gegen Gewalt und Gleichgültigkeit zu konspirieren, auch im Kleinen, wo immer es nur möglich war ... Noch keine Nachricht von ihm. Slothrop vermißt ihn, nicht nur den Verbündeten, sondern einfach seine Anwesenheit, seine Freundlichkeit. Er klammert sich an seinen französischen Urlaubsfrieden, will noch immer glauben, daß diese Störungen vorübergehender, papierener Natur sind, ein Problem fehlgeleiteter Briefe und verstümmelter Befehle, eine Belästigung, die mit dem Krieg ihr Ende finden wird - so gründlich haben SIE die Grasprärien seines Hirns gepflügt, haben neu angesät und ihn dafür subventioniert, daß er nichts Eigenes mehr wachsen läßt... Keine Briefe aus London, nicht mal Neuigkeiten von ACHTUNG. Wie abgeschnitten. Auch Teddy Bloat ist eines Tages einfach verschwunden: andere Verschwörer tauchen hinter Katje und Sir Stephen auf, tanzen herein wie eine Chorus Line, deren gleichgeschaltetes, korporatives Lachen ihn einfach blenden muß in seiner Multiplikation strahlender Zähne, so glauben sie jedenfalls, ihn ablenken muß von all dem, was sie ihm nehmen, seine Papiere, sein Dossier, seine Vergangenheit. Aber scheiß drauf ... er läßt's geschehen. Was ihn mehr interessiert, manchmal ein wenig ängstigt, ist das, was man ihm Neues gibt. Einmal beschließt Slothrop, offenbar aus einer Laune heraus, obwohl man dessen nie sicher sein kann, sich einen Schnurrbart wachsen zu lassen. Das letzte Mal trug er mit dreizehn einen, damals hatte er an Johnson Smith um ein ganzes Schnurrbart-Set geschrieben, zwanzig verschiedene Formen, von Fu Manchu bis Groucho Marx. Sie waren aus schwarzer Pappe mit zwei Haken, die man sich in die Nase stecken mußte. Nach einiger Zeit weichte der Rotz die Haken auf, sie wurden labberig, und der Schnurrbart fiel runter.
    "Welche Sorte?" will Katje wissen, als ein erster Ansatz sichtbar wird. "Bösewicht", sagt Slothrop. Und erklärt, daß er damit einen gestutzten, schmalen, schurkischen meint.
    "Nein, davon kriegst du eine negative Einstellung. Warum nicht einen, wie ihn positive Helden -"
    "Aber die Guten tragen doch gar keinen Bart!" "Wirklich? Und was ist mit Wyatt Earp?"
    Wogegen man einwenden könnte, daß Wyatt so gut nun auch nicht war. Aber wir befinden uns hier noch in der Stuart-Lake-Ära, bevor die Revisionisten ans Ruder kamen, und Slothrop glaubt an diesen Wyatt, also gut. Eines Tages schneit ein General Wivern vom technischen Stab beim SHAEF herein und sieht das Ganze. "Die Enden hängen runter", stellt er fest. "So war's beim Wyatt auch", erläutert Slothrop.
    "So war es aber auch bei John Wilkes Booth", erwidert der General. "Na?"
    Slothrop grübelt. "Das war ein Böser."
    "Genau. Warum zwirbeln Sie die Enden nicht hinauf?"
    "Sie meinen die englische Art. Tja, hab ich versucht. Es muß am Wetter liegen oder an sonstwas, jedenfalls fällt mir der alte Wedel immer wieder runter, und dann muß ich diese Enden abbeißen. Wirklich unangenehm."
    "Ist ja ekelhaft", sagt Wivern. "Das nächste Mal, wenn ich vorbeikomme, bringe ich Ihnen etwas Bartwichse mit. Man stellt sie extra mit bitterem Geschmack her, um die, äh, Endenbeißer abzuschrecken, wissen Sie."
    Wie der Bart also wächst, wichst Slothrop den Bart. Jeden Tag gibt's irgend etwas Neues von diesem Kaliber. Katje ist immer da, von IHNEN in sein Bett geschmuggelt wie jene Münzen, die man für ausgefallene Milchzähne unters Kissen schiebt, die unschuldigen Schneide- und momvergötzten Backenbeißerchen seines Amerikanismus, welche er in diesen Tagen als klappernde Spur im Casino zurückläßt. Nach den Arbeitssitzungen entdeckt er immer wieder, daß er aus irgendeinem komischen Grund einen Steifen hat. Hm, äußerst eigenartig. Es ist nichts besonders Erotisches an der Lektüre dieser Handbücher, die hastig aus dem Deutschen übersetzt

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