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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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über ihn, er unterquert einen Tisch, setzt über den merkwürdigen Teich aus verschüttetem Schampus und den seltsamen Sumpf aus Kotze und landet schließlich vor etwas, das ihm Dodson-Trucks sandgefüllte Hosenstulpen zu sein scheinen. "Hey", fädelt er sich zwischen zwei Stuhlbeine und peilt nach oben, um Dodson-Trucks Gesicht zu orten, das vom Heiligenschein der dahinter hängenden fransenbesetzten Lampe umrahmt ist: "Können Sie gehen?"
    Vorsichtig schwenkt Sir Stephen seine Augen zu Slothrop hinunter: "Bin mir - nicht mal sicher - ob ich stehen kann ..." Sie verbringen einiges an Zeit damit, Slothrop aus seinem Stuhl zu entwirren, sich in die Senkrechte zu begeben - was eigene Probleme aufwirft -, die Tür zu lokalisieren und den Kurs zu peilen ... Stolpernd, einander stützend, pflügen sie sich durch den flaschenschwingenden, augenrollenden, hosenschlitzoffenen, röhrenden, bleichgesichtigen, magengrubenhaltenden Mob und das geschmeidige, parfümierte Publikum der Mädchen in der Tür, die alle süß beschwipst sind, eine Druckschleuse nach draußen. "Heilige Scheiße!" Es ist genau die Art von Sonnenuntergang, die man kaum noch zu sehen bekommt, ein Sonnenuntergang aus den Wildnissen des neunzehnten Jahrhunderts, wie er ein paarmal, in Näherungen, auch gemalt worden ist, Landschaften des amerikanischen Westens von Künstlern, deren Namen keiner mehr kennt, geschaffen, als das Land noch frei war und das Auge unschuldig und die Gegenwart des Schöpfers viel unmittelbarer. Ein Donnerschlag ist's über dem Mittelmeer, hoch und einsam, ein Anachronismus in Ur-Rot, in einem Gelb, das reiner ist, als man es heute irgend findet, eine Reinheit, die danach schreit, beschmutzt zu werden ... natürlich, es mußte das Empire seinen Weg nach Westen nehmen, welchen anderen Weg hätte es gegeben als in solche jungfräulichen Sonnenuntergänge, zu penetrieren und zu vergiften?
    Doch draußen am Horizont, draußen am polierten Rand der Welt, wer sind die Besucher, die dort stehen ... diese verhüllten Gestalten - vielleicht, bei der Entfernung, Hunderte Meilen hoch -, die ihre Gesichter, heiter und ungerührt wie das des Buddha, über die See beugen, gleichmütig, in der Tat, wie jener Engel, der über Lübeck stand am Palmsonntag der Bombardierung, zu der er nicht als Schutz- und nicht als Würgeengel gekommen war, sondern um Zeuge zu werden eines Spieles der Verführung. Es war der vorletzte Schritt, den London unternahm, bevor die Stadt sich unterwarf, bevor sie das Verhältnis einging, das ihr den Ausschlag gab, die von Roger Mexico auf seiner Karte registrierten Narben der schwärenden Syphilis, die latent war in der Liebe, die sie mit dem nächtlichen Wüstling, ihrem Lord Tod verbindet... denn die RAF zu diesem Terrorangriff auf das zivile Lübeck loszuschicken war der unmißverständliche, tiefe Blick, der sagte: Mach schon, fick mich, der die A 4S, die harten, heulenden Raketen, die ohnehin abgefeuert worden wären, noch etwas rascher kommen ließ ...
    Was erwarten die Wächter vom Rand der Welt heute abend zu sehen? Immer tiefer tauchen sie, monumentale Wesen, stoisch, jetzt ein in Schlacke, Asche, nähern sie sich der Farbe, auf die die Nacht sich einpendeln wird - was gibt es hier, das grandios genug ist, ihrer Zeugenschaft zu bedürfen? Nur Slothrop und Sir Stephen torkeln über die langen Schatten, die wie Gefängnisriegel von den schlanken Palmenstämmen der Allee über die Esplanade fallen. Zwischen den Schatten strömt das hellwarme Rot des Sonnenuntergangs, im Hintergrund liegt körnig schokoladenbraun der Strand. Nichts von Gewicht scheint zu passieren. Kein Verkehr flüstert um Straßenkurven, keine Franc-Milliarden werden an den Tischen des Casinos für eine Frau oder für einen Staatenpakt riskiert. Nur das beinahe förmliche Weinen von Sir Stephen ist zu hören, der jetzt mit einem Bein auf dem noch tageswarmen Sand kniet: leise, erstickte Rufe einer verhaltenen Verzweiflung, die so beredt von all der Unterdrückung sprechen, die er erfahren hat, daß Slothrop selbst in seiner eigenen Kehle den Schmerz mitschwingen fühlt, den diese Anstrengung dem Mann ganz offenbar bereitet...
    "O ja, ja, du verstehst, ich, ich - kann nicht. Nein. Ich habe geglaubt, du wüßtest -aber warum hätten sie's dir sagen sollen? Sie wissen's alle. Ich bin das Gespött der Abteilung. Auch die Leute wissen's alle. Seit Jahren und Jahren ist Nora schon das Herzchen der ganzen Psi-Gemeinde. Das war immer gut für irgendeine

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