Die Enden der Parabel
sehr kleinen Kind vergleichen könnte, Sie verstehen?" Na ja, eigentlich nein, so ganz versteht es Slothrop nicht. Beinahe jedesmal, wenn er Dodson-Truck trifft, bekommt er solches Zeug zu hören. Wie aus dem Nichts heraus hatte sich der Mann eines schönen Tages am Strand materialisiert, in einem schwarzen Anzug, die Schultern überzuckert von Schuppen aus schütter werdenden, karottenroten Haaren, gegen den Hintergrund der weißen Casino-Fassade, die über ihm zitterte, als er näher kam. Slothrop las gerade in einem Plasticman-Comic. Katje lag auf dem Rücken und döste in die Sonne. Doch als sie seine Schritte hörte, drehte sie sich auf einen Ellenbogen und winkte ihm zu. Der so Begrüßte reckte sich zu voller Länge, Position 8,11, steif, korporiert. "Das also ist Lieutenant Slothrop." Der Vierfarben-Plasticman sickert gerade aus einem Schlüsselloch, um eine Ecke und rauf durch die Wasserleitung ins Labor des wahnsinnigen NaziWissenschaftlers, wo er jetzt seinen Kopf aus dem Wasserhahn steckt, Plas mit den blitzenden Brillenaugen und dem Nichtplastik-Kinn. "Yeah, Sportsfreund. Und wer bist du?"
Sir Stephen stellt sich vor, Sommersprossen unter der Sonne blühend, und schielt neugierig auf das Comic-Heft. "Wir scheinen uns nicht gerade in einer besonders intensiven Arbeitsphase zu befinden." "Ist er sauber?"
"Er ist sauber", lächelt Katje, achselzuckend, in Richtung Dodson-Truck.
"Nur 'ne kleine Abwechslung von diesem Telefunken-Leitsystem. Dem . Wissen Sie
etwas darüber?"
"Nur so viel, um mich zu fragen, wo sie den Namen herhaben. " "Den Namen?"
"Er hat eine gewisse Poesie, eine Techniker-Poesie ... Er suggeriert , unser average... und da haben wir ja auch die beiden Sendekeulen, die doch symmetrisch liegen um das gewünschte Azimut der Rakete ... steckt auch darin, , jemanden verprügeln, mit einem Stock, "Nun ja, vielleicht ist es auch einfach Achsenpropaganda und hat mit Pearl Harbor zu tun?"
Sir Stephen überlegt, scheint angetan. Haben SIE ihn wegen all der wortverliebten Puritaner ausgewählt, die vom Stammbaum Slothrops baumeln? Versuchten SIE jetzt auch, seinen Geist, sein lesendes Auge zu verführen? Es gibt Augenblicke, da
Slothrop den Kupplungsmechanismus sieht, der ihn mit IHRER eisenarmierten Maschine am anderen Ende der komplizierten Transmission verbindet, deren Gestalt und Konstruktion er nur erraten kann - doch wenn er diesen Kraftschluß löst, spürt er nur seinen eigenen Antriebsmangel, seine wahre Hilflosigkeit ... Andererseits ist es nicht wirklich unangenehm. Seltsam. Er ist beinahe sicher, was immer SIE auch von ihm wollen, daß er dabei weder sein Leben noch auch nur allzuviel von seiner Bequemlichkeit aufs Spiel zu setzen haben wird. Doch nichts von alldem fügt sich in ein Muster, es ist unmöglich, jemanden wie Dodson-Truck mit jemandem wie Katje zu verbinden ...
Die Verführerin und ihr Schoßhündchen, akzeptiert, es ist nicht das übelste Spiel. Wenig Heuchelei ist dabei, und er trägt ihr nichts nach: der wirkliche Feind steckt irgendwo oben in London, Katje macht nur ihren Job. Sie kann amüsant sein, fröhlich und freundlich, und er zieht es jedenfalls vor, hier mit ihr im Warmen zu sitzen, statt in London unter V-2-Beschuß zu frieren. Dann und wann allerdings ... zu flüchtig, um es festmachen zu können, taucht in ihren Zügen etwas auf, ein Ausdruck, den sie nicht unter Kontrolle hat, der ihn deprimiert, von dem er sogar schon geträumt und ihn im Traum so gesteigert gefunden hat, daß er es mit der Angst bekam: Angst vor der schrecklichen Möglichkeit, daß auch sie hintergangen wird. Daß sie so sehr ein Opfer ist wie er ein derart unglücklicher, unsagbar zukunftsloser Blick... Eines grauen Nachmittags überrascht er sie im Himmler-Spielsaal, ausgerechnet, allein vor einem Roulettrad. Sie steht mit gesenktem Kopf, in der Hüfte graziös eingeknickt, und spielt den Croupier. Eine Angestellte des Hauses. Sie trägt eine weiße Trachtenbluse und einen regenbogenbunt gestreiften Dirndlrock aus Satin, auf dem der Widerschein des Deckenfensters schimmert. Das Trommeln der Kugel gegen die wirbelnden Speichen bricht sich in langen, kratzigen Resonanzen an den freskierten Wänden des Raumes. Sie wendet sich nicht um, bis Slothrop an ihrer Seite ist. In ihrem Atmen liegt ein verhaltenes, zögerndes Beben - sie tippt an die Jalousien seines Herzens, öffnet ihm kurze Blicke auf eine Herbstlandschaft, die er nur geahnt, nur gefürchtet hat, die ihn umgibt und sie
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