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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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weggeflachst vom Atmen Tausender Kamine, dem schamlosen Aufwärtsschwänzeln ihres Rauchs. Dieser Rauch ist mehr als der Atem des Tages, mehr als dunkle Kraft - er ist eine imperiale Präsenz, agil und voll Leben. Menschen überquerten die Straßen und Plätze, unterwegs in allen Richtungen. Über lange Betonviadukte, verschmiert vom Verschleiß freudloser Jahre, rollten Omnibusse zu Hunderten in nebliges Grau, fettiges Schwarz, Mennigrot, fahles Aluminium, verschwanden zwischen Gebirgen von Schrott, getürmt zur Höhe von Wohnblocks, krängten durch schliddernde Kurven hinunter in Straßen, die verstopft waren von Armeekonvois, anderen Doppelstockbussen, planenbespannten Lastwagen, Fahrrädern, Autos, alle mit anderen Zwecken und Zielen, alle in Bewegung, hier und da stockend, und über dem Ganzen die riesige Gasruine der Sonne zwischen Fabrikschloten, Sperrballonen, Hochspannungsleitungen und Kaminen vom Braun alternder Holztäfelungen, einem Braun, das dunkler wird und plötzlich schwarz, in einem Augenblick - vielleicht dem wahren Augenblick des Sonnenuntergangs -, der Wein ist für dich, Wein und Trost.
    Es war genau 6 Uhr, 43 Minuten, 16 Sekunden Doppelte Britische Sommerzeit: der Himmel, geschlagen wie die Trommel des Todes, dröhnte noch immer, und Slothrops Schwanzwas sagt man dazu? Ja, schaut nur rein in seine GI-Unterhose, da zuckt ein Ständer, bereit zu springen - du großer Gott, woher kommt das? In Slothrops Geschichte und wahrscheinlich, Gott helfe ihm, auch in seinem Dossier findet sich eine eigentümliche Empfindlichkeit für alles, was sich am Himmel zeigt. (Aber ein Ständer?)
    Auf der alten Schieferplatte eines Grabsteins auf dem Gemeindefriedhof daheim in Mingeborough, Massachusetts, taucht aus einer Wolke die Hand Gottes auf, ihre Konturen hier und da verwittert von den Jahreszeiten zweier Jahrhunderte, dem Feuer -des Sommers, dem Eismeißel des Winters, und die Inschrift lautet:
    Zum Gedenken an Constant Slothrop, gest. d 4ten März 1766, seines Alters 29 Jahr . Den Tod sind der Natur wir schuldig, Ich zahlte, zahl auch Du geduldig.
    Constant sah - und nicht nur mit dem Auge seines Herzens -, wie diese steinerne Hand in unerträglicher Helle aus den säkularen Wolken auf ihn zeigte, über dem Murmeln seines Flusses und den dahinrpllenden, blauen Hügeln seiner Berkshires, und auch sein Sohn Variable Slothrop sah sie, und auf die eine oder andere Weise sahen sie alle vom Slothropschen Stamm, neun oder zehn Generationen, zurücktaumelnd, an ihren Ort gebannt: alle, mit Ausnahme von William, dem ersten des Geschlechts, lagen hier auf diesem Friedhof am Moorsaum, in allen Stadien der Fäulnis, der Auslaugung, der Rückkehr zur Erde, unter totem Laub, Minze und purpurnem Blutweiderich, im kühlen Schatten von Ulmen und Weiden. Auf ihren Steinen gab es pausbäckige Engel mit langen Hundenasen, zähnebleckende Totenköpfe mit leeren Augenhöhlen, Freimaurerembleme, blumenverzierte Urnen, fiedrige Weiden, aufrecht oder geknickt, geleerte Stundengläser, rundwangige, aufoder untergehende Sonnengesichter, deren Augen a la Kilroy über den Himmelsrand lugten, und alle Arten von Grabsprüchen, vom unverblümtlakonischen des Zweizeilers für Constant Slothrop über den hüpfenden Star-Spangled-BannerRhythmus für Mrs. Elizabeth, Frau des Lt. Isaiah Slothrop (gest. 1812):
    Adieu, meine Freunde, da lieg ich nun weil Der bittere Tod mich ins Grab hat gekehrt. Bis Christus der HErr, seinen Kindern zum Heil, Aufersteht, ruh ich hier, wie Sein Wort uns gelehrt. Gedenke des Himmels und hör auf mein Flehn, Denn blüht auch Dein Leben, bald mußt Du doch gehn. Am Webstuhl sitzt Gott, und Er knüpfet uns sacht Die Fäden, aus ewiger Liebe gemacht.
    Bis hin zum Großvater unseres Tyrone Slothrop, Frederick (gest. 1933), der seinen Epitaph in einer typischen Mischung aus Sarkasmus und Tücke von Emily Dickinson abschrieb, ohne auf die Urheberschaft hinzuweisen:
    Da ich den Tod nicht finden könnt', Fand er so gnädig mich.
    Alle hatten sie, als die Reihe an sie kam, ihre Schuld an die Natur bezahlt - den Überschuß jedoch vermachten sie dem nächsten Glied in ihrer Namenskette. Sie begannen als Fellhändler, Seiler, Schinkeneinsalzer und -räucherer, wandten sich der Glasmacherei zu, wurden Amtmänner, Gerber, Marmorbrecher. In weitem Umkreis verwandelte sich das Land in eine Nekropolis, grau von Marmorstaub, einem Staub, der Atem und Geist all jener imitierten athenischen Bauwerke war, die anderswo in der Republik

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