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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Dunkelheit macht er sich auf die Suche nach der lokalen Waxwing-Niederlassung, die sich ein Stück flußaufwärts am Limmatquai unter einer Brücke befindet. Zimmer voller Chronometer, Uhren, Höhenmesser, darin ein Russe namens Semjawin. Von draußen dringen die Hupsignale der Boote auf Fluß und See herein. Im Oberstock übt jemand auf dem Klavier: holpernde, süße Lieder. Semjawin gießt Enzian in Tassen mit frisch aufgebrühtem Tee. "Das erste, was du hier kapieren mußt, ist die Art und Weise, wie alles spezialisiert ist. Wenn du Uhren brauchst, gehst du in das eine Cafe; dreht sich's um Frauen, gehst du in ein
    anderes. Pelze sind unterteilt in Zobel, Hermelin, Nerz und sonstige. Bei Drogen
    genauso: Stimulantien, Depressiva, Psychomimetika ... Hinter was bist du her?"
    "Äh, Informationen?" Mmmh, das Zeugs schmeckt ja wie Moxie...
    "Oh. Wieder einer." Er wirft Slothrop einen mürrischen Blick zu. "Vor dem ersten
    Krieg war das Leben einfach. Du kannst dich natürlich nicht erinnern. Drogen, Sex
    und Luxusartikel. Währungen waren nur ein Nebengeschäft, und der Begriff war
    unbekannt. Ich habe miterlebt, wie es anders geworden ist - wie sehr anders es
    geworden ist. Die Inflation in Deutschland hätte mich warnen müssen, eine Kette von
    Nullen von Berlin bis hierher. Ich habe mir gut zugeredet: Aber soll ich dir mal was
    verraten?"
    "Bin gespannt."
    Ein tragikerfüllter Seufzer. "Information... Was ist denn faul an Drogen oder Weibern? Ist es ein Wunder, daß die Welt verrückt geworden ist, wenn Information das letzte gültige Tauschobjekt darstellt?" "Ich dachte, das wärn Zigaretten."
    "Du träumst." Er zieht eine Liste von Zürcher Cafes und Treffpunkten heraus. Unter Spionage, industrielle, findet Slothrop drei Adressen. Das Ultra, das Lichtspiel und das Sträggeli. Sie liegen weit auseinander, auf beiden Ufern der Limmat. "Beinarbeit", faltet er die Liste in eine überdimensionale Tasche seines Zoot. "Das wird leichter. Eines Tages machen es Maschinen. Informationsmaschinen. Du bist die Bugwelle der Zukunft."
    Es beginnt eine Periode des Pendeins zwischen den drei Cafes. In jedem sitzt er ein paar Stunden über seiner Tasse, einmal am Tag geht er essen, Zürcher Mettwurst mit Rösti in den Volksküchen ... wo er Schwärme von Geschäftsleuten in blauen Anzügen beobachten kann, sonnenverbrannte Skifahrer, die ihre Zeit mit Schußfahrten über kilometerlange Gletscher und Firn verbracht und von Feldzügen oder Politik nichts gehört, außer Windfahnen und Thermometern nichts gelesen, ihre schlimmsten Greuel in Schneebrettern und Lawinen, ihre Triumphe in Pulverschnee erlebt haben ... zerlumpte Ausländer in ölfleckigen Lederjacken und löcherigem Drillich, Südamerikaner, vermummt in Pelze und in der hellen Sonne fröstelnd, ältliche Hypochonder, die der Kriegsausbruch bei der Kur in einem Heilbad überrascht und hier bis heute festgehalten hat, Frauen in langen, schwarzen Kleidern, die niemals lächeln, und Männer in schmutzbespritzten Regenmänteln, die es tun ... und dann die Irren, die aus ihren vornehmen Verwahranstalten auf einen Wochenendurlaub herunterkommen - oh, die Geisteskranken dieser Schweiz: keiner unter ihnen, der nicht Slothrop kennte, denn Slothrop allein unter all den düsteren Farben und Gesichtern auf den Straßen geht in Weiß, Schuhe, Hut und Zoot, schneeweiß wie die Friedhofsberge über der Stadt... Er ist das neue Wahrzeichen von Zürich, und er hat seine liebe Not, die erste Welle der korporativen Spitzel auszusondern aus den IRREN AUF URLAUB!
    (Die Chorus Line ist nicht, wie üblich, aufgeteilt in Jungen und Mädchen, sondern in Wärter und Irre, ohne Ansehen des Geschlechts, obwohl alle vier Möglichkeiten auf der Bühne vertreten sind. Viele tragen Sonnenbrillen mit schwarzen Gläsern und weißen Gestellen, nicht so sehr aus modischen Gründen, als um Schneeblindheit zu suggerieren, das aseptische Weiß der Klinik, vielleicht sogar die Dunkelheit des Geistes. Aber es wirkt alles fröhlich, relaxed und locker... kein Anzeichen von Unterdrückung, nicht einmal Unterschiede in der Kleidung, so daß es anfangs ziemlich schwierig ist, die Irren und die Wärter auseinanderzuhalten, die jetzt alle singend und tanzend aus sämtlichen Gassen zugleich auftreten): Kuckuck, Leute, grüß euch Gott, Maske auf und ab Komplott, Laßt uns sabbern, tanzen, lachen, Fröhliche Zwerge, die Ferien machen!
    Ja, wir sind die IRREN AUF URLAUB, Sind weich auf der Birne, die Seelen Beim Feiern,

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