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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Sie die Indol-Bande kennen würden, wüßten Sie, wovon ich rede. Sie sind ein elitäres Pack. Sehen sich selbst am Ende einer langen europäischen Dialektik, Generationen von Getreidebrand und Mutterkorn, Hexen auf Besenstielen, Gemeinschaftsorgien, Kantonen, die irgendwo oben in Gebirgsfalten vergraben liegen und seit fünf Jahrhunderten keinen unhalluzinierten Tag mehr erlebt haben - Bewahrer einer Tradition, Aristokraten -"
    "Augenblick mal..." Jamf tot? "Sagten Sie nicht eben was von Jamfs Grab?" Das sollte einen Unterschied machen für ihn, außer, der Mann hätte nie gelebt, aber wie kann er dann -
    "Über der Stadt, auf den Uetliberg zu."
    "Ob Sie ihn jemals -"
    "Was?"
    "Haben Sie ihn jemals kennengelernt?"
    "Das war vor meiner Zeit. Aber ich weiß, daß es einen Haufen Material über ihn im Geheimarchiv bei Sandoz gibt. Das wird ein schönes Stück Arbeit sein, Ihnen da rauszuholen, was Sie brauchen... " "Äh...?" "Fünfhundert." "Fünfhundert was?"
    Schweizer Franken. Fünfhundert hat Slothrop von überhaupt nichts, es seien denn Sorgen. Das Geld aus Nizza ist fast aufgebraucht. Er macht sich auf den Weg zu Semjawin, jenseits der Gemüsebrücke. Er nimmt sich vor, von nun an jeden Weg zu Fuß zu gehen, kaut auf seiner kalten Wurst und fragt sich, wann er wohl wieder eine sehen wird.
    "Das erste, was du jetzt tun willst", berät ihn Semjawin, "ist, zu einem Pfandleiher zu gehen und diesen-diesen", er deutet auf den Zoot-Anzug, "zu ein paar Franken zu machen." Oooch nein, nicht den Zoot. Semjawin rumort in einem Hinterzimmer herum, kommt mit einem Bündel Arbeitskleidung wieder zum
    Vorschein. "Du solltest dir ein bißchen mehr Gedanken über deine Sichtbarkeit machen. Komm morgen wieder, ich werde sehen, was ich noch finde." Den weißen Zoot in einem Bündel unter dem Arm, marschiert ein weniger sichtbarer lan Scuffling wieder hinaus, flußabwärts in den mittelalterlichen Nachmittag von
    Niederdorf. Unter der sinkenden Sonne blähen sich die Steinmauern wie backendes Brot und, Mannomann, auch ihm geht auf, daß hier wieder so 'ne Tamara/Italo-Nummer zu laufen beginnt, und diesmal wird er so tief drinstecken, daß er nicht mehr rauskommt...
    Vor der Ecke zu seiner Gasse bemerkt er, geparkt in einer Schattenbucht, einen schwarzen Rolls mit laufendem Motor, getönten Scheiben, und das Nachmittagslicht ist so schwach, daß er nicht ins Innere sehen kann. Hübscher Schlitten. Der erste, der ihm seit einer ganzen Weile begegnet. Sollte nicht mehr als einen neugierigen Blick kosten, gälte nicht
    Sinnsprüche für Paranoiker, 4: Du versteckst dich, sie suchen.
    Zunnggg! diddilung, diddila-ta-ta-ta, ya-ta-ta-ta, im Allegro der Wilhelm-Tell-Ouvertüre zurück in die Schatten, wollen hoffen, daß da gerade keiner durchs Einwegglas geschaut hat -zoom, zoom, um die Ecke flitzen, Straßen runterrasen, kein Geräusch von Verfolgung, aber schließlich ist so 'n Rolls ja auch das Leiseste, was fährt, höchstens die Königstiger ausgenommen... Das Hotel Nimbus dürfte gestorben sein für ihn. Seine Füße machen sich langsam bemerkbar. Kurz vor Ladenschluß erreicht er die Luisenstraße und das Leihhaus und schafft es, seinen Zoot anzubringen. Was er dafür kriegt, wird für ein, zwei Tage Mettwurst reichen. Leb wohl, Zoot.
    In Zürich wird entschieden zeitig zugesperrt. Und wie und wo kriecht Slothrop unter für die Nacht? Für einen Augenblick fällt er in seinen alten Optimismus zurück: drückt sich in ein Restaurant und ruft die Rezeption im Nimbus an. "Hallo, ja", in englischem Englisch, "könnten Sie mir vielleicht sagen, ob der Landsmann noch da ist, der im Foyer gewartet hat, Sie wissen schon..."
    Eine Minute, und es kommt eine freundliche, verlegene Stimme mit einem Ach-sind-Sie-das. Oh, wie engelhaft. Slothrop kriegt Schiß, hängt ein, steht da und glotzt auf alle diese Leute beim Abendessen, die alle zurückglotzen-versaut, versaut, jetzt wissen SIE, daß er gewarnt ist. Er hat die übliche Chance, daß es wieder nur seine Paranoia ist, aber diesmal sind die Zufallsfügüngen wohl doch zu dicht. Und außerdem kennt er ihn mittlerweile, den Tonfall IHRER kalkulierten Unschuld, der zu IHREM Stil gehört ...
    Wieder unterwegs durch die Stadt: Präzisionsbanken, Kirchen, gotische Portale spulen sich ab ... das Hotel und die drei Cafes muß er vermeiden, klar, klar... Die lebenslangen Zürcher flanieren in Frühabend-Blau vorbei. Blau wie das Zwielicht über der Stadt, immer dunkleres Blau ... Die Spione und

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