Die Enden der Parabel
die Corniche mit tanzenden Bergen und dem leisen Quietschen von Gummi an sonnenwarmen Abgründen, nachdem er seine Anhängsel am Strand abgeschüttelt hat, wo er aufmerksam genug war, seinem Spezi Claude, einem Sous-Chef vom Casino, etwa so groß und breit wie er, diese nagelneue pseudo-tahitianische Badehose zu leihen, in der Claude dann aller Augen auf sich zog, während Slothrop den schwarzen Citroen organisierte, dessen Schlüssel steckten, 'ne reine Kleinigkeit, Leute ... und in dem er jetzt in Nizza einrollt, angetan mit weißem Zoot, dunkler Sonnenbrille und einem flappenden Sydney-Greenstreet-Panama. Er wirkt nicht gerade ausgesprochen unauffällig zwischen all den Militärs und den Mamzelles, die schon die Sommerkleider aus den Schränken geholt haben, läßt den Wagen aber trotzdem in der Nähe der Place Garibaldi stehen und flaniert zu einem Bistro auf der Altstadtseite der Porte Fausse, wo er sich Zeit für eine Semmel und eine Tasse Kaffee nimmt, ehe er sich aufmacht, die Adresse zu suchen, die ihm Waxwing gegeben hat. Sie entpuppt sich als ein altes, vierstöckiges Hotel, in dessen Eingangshalle Nachmittagsbesoffene auf dem Boden liegen, die geschlossenen Augen wie winzige Brotlaibe vom letzten Sonnenglast gepinselt, und sommerlicher Staub in gemessenem Geschwader durch das gelbgraue Licht treibt. Sommerliche Feierabendstimmung herrscht in den Straßen vor dem Haus, ein Sommer im April, während der Wirbelsturm der Umgruppierungen von Europa nach Asien mit seinen Schiffssirenen jede Nacht mehr Seelen verführt, sich über den Appell hinaus an die Gelassenheit von hier zu klammern, dem vorletzten Halt, dicht vor dem Spundloch von Marseille, in dem papierenen Zyklon, der sie aus Deutschland durch die Flußtäler nach Süden saugt, schon aus Antwerpen einige, schon aus den Nordseehäfen, je sicherer der Wirbel seiner Sache, seiner bevorzugten Routen wird ... Gerade auf Messers Schneide, hier in der Rue Rossini, kommt das beste Gefühl zu Slothrop, das die Abenddämmerung in einer fremden Stadt bringen kann: genau dort, wo das Licht des Himmels dem Licht der elektrischen Straßenlampen die Waage hält, kurz vor dem ersten Stern, etwas wie ein Versprechen von Ereignissen, für die es keine Ursachen geben wird, von Überraschungen, von Richtungen, die rechtwinklig liegen werden zu allen Kursen, die ihn sein Leben bislang gesteuert hat. Zu ungeduldig, um auf den ersten Stern zu warten, betritt Slothrop das Hotel. Die Teppiche sind staubig, es riecht nach Alkohol und Chlor. Paarweise und alleine schlendern Matrosen und Mädchen an Slothrop vorbei, der von Tür zu Tür durch die Flure paranoidiert und jene sucht, die ihm etwas zu erzählen hätte. Radios spielen in den schwer hölzernen Zimmern. Die Treppengeländer stehen nicht im Lot, sondern hängen schräg in einem merkwürdigen Winkel, und das Licht, das an den Wänden herabrinnt, hat nur zwei Farben: Erde und Blätter. Im obersten Stockwerk findet Slothrop schließlich eine alte, mütterliche Zimmerfrau, die Bettwäsche zum Wechseln, hellweiß im schwachen Licht, in ein Zimmer trägt.
"Warum bist du gegangen?" das traurige Flüstern klingelt wie durch einen Telephonhörer von sehr weit weg. "Sie wollten dir doch helfen. Sie hätten nichts Böses getan..."Ihr Haar ist ringsum hochgerollt a la George Washington. In einem Winkel von 45 Grad starrt sie zu Slothrop hinauf, der geduldige Blick eines Schachspielers im Park, ihre Nase ist sehr groß und freundlich gekrümmt, ihre Augen glänzen: sie ist behäbig, schwerknochig, die Spitzen ihrer Lederschuhe sind leicht aufgebogen, an riesigen Füßen trägt sie rot-weiße Ringelsocken, die ihr das Aussehen einer freundlichen Märchenfrau aus einer der anderen Welten verleihen, einer Fee von der Sorte, die einem nicht nur etwas in die Schuhe steckt, sondern gleich ein bißchen fegt und
den Topf schon auf dem Herd hat, wenn man aufwacht und vielleicht eine frische Blume am Fenster... "Wie bitte?" "Noch ist es Zeit."
"Sie verstehen nicht. Man hat mir einen Freund ermordet." Aber es in der Times zu sehen, so öffentlich ... wie konnte so etwas real sein, real genug, um ihn davon zu überzeugen, daß Tantivy nicht eines Tages doch zur Tür hereinplatzen würde, mit einem "Hallo, Leute" und schüchternem Grinsen... hey, Tantivy, wo hast du denn gesteckt?
"Wo ich gesteckt habe, Slothrop? Wirklich 'ne gute Frage!" Und die Zeit würde wieder hell von seinem Lächeln, die Luft zum Atmen freier...
Er zückt Waxwings
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