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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Karte. Die alte Frau bricht in ein erstaunliches Lächeln aus, die beiden einzigen Zähne, die ihr geblieben sind, strahlen im Licht der neuen Glühbirnen der Nacht. Mit dem Daumen weist sie ihn nach oben und schickt ihm entweder ein V-für-Victory-Zeichen oder einen anderen Zauber aus einem fernen Land nach, der vor dem bösen Blick schützt, der die Milch gerinnen läßt. Was immer es war, jedenfalls kichert sie sarkastisch.
    Oben ist das Dach, und in der Mitte eine Art Penthouse. Drei junge Männer mit Apachen-Koteletten und eine junge Frau, die einen geflochtenen, ledernen Totschläger umklammert, sitzen vor der Tür und rauchen von einer dünnen Zigarette mit vieldeutigem Duft. "Du bist verloren, mon ami." "Tja, äh", wieder mal raus mit Waxwings Karte!
    "Ah, bien ..." Sie rollen sich zur Seite, und er tritt ein in ein Gezänk aus kanariengelben Borsalinos, korksohligen Comic-Schuhen mit gigantischen Kappen, allgegenwärtigem Flickwerk in kontrastierenden Farben (wie Orange auf Blau oder jener zeitlose Favorit, Grün auf Magenta), werktäglichem Grunzen voll unwirscher Behaglichkeit, wie man es normalerweise in öffentlichen Toiletten zu hören bekommt, regem Telephonverkehr aus dichten Wolken von Zigarrenrauch. Waxwing ist nicht da, doch ein Kollege unterbricht die lautstarken Geschäftsgespräche, als er die Karte sieht.
    "Was brauchst du?"
    "Carte d'identite, Ticket nach Zürich, Schweiz." "Morgen."
    "Platz zum Schlafen."
    Der Mann gibt ihm einen Schlüssel zu einem der Hotelzimmer. "Hast du Geld?" "Nicht viel. Ich weiß aber nicht, wann ich -" Zählen, blinzeln, rascheln, "hier". "Äh... "
    "Schon gut, das ist nicht geliehen. Es kommt von oben. Also, du gehst nicht auf die Straße, du besäufst dich nicht, du läßt die Mädchen in Ruhe, die hier arbeiten." "Ooch... "
    "Dann bis morgen." Und zurück zum Geschäft.
    Slothrops Nacht vergeht äußerst unbequem. Er findet keine Position, in der er mehr als zehn Minuten schlafen könnte. Wanzen-Rollkommandos reiten wilde Attacken gegen seinen Körper, die nicht unkoordiniert sind mit den wechselnden Tiefen seines Wachseins. Betrunkene kommen an die Zimmertür. Betrunkene und Besucher von drüben.
    "'Rone, mußt mich reinlassen, hier ist Dumpster, Dumpster Villard." "Was soll -"
    "Es ist wirklich schlimm heut nacht, 'tschuldige. Ich sollte hier nicht so reinplatzen, ich mach mehr Ärger, als ich überhaupt wert bin ... hör mal... mir ist so kalt... ich hab einen weiten Weg hinter mir..."
    Hartes Klopfen. "Dumpster-"
    "Nein, nein, ich bin's-MurraySmile, ich war neben dir in der Grundausbildung, 84. Kompanie, erinnerst du dich? Unsere Stammnummern sind nur zwei Ziffern auseinander."
    "Ich hätte ihn ... ich hätte Dumpster reinlassen müssen ... Wo sollte er hin? Hab ich geschlafen?"
    "Sag ihnen nicht, daß ich hier war. Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, daß du nicht zurückmußt."
    "Wirklich? Haben sie gesagt, daß es in Ordnung geht?" "Ja, alles in Butter."
    "Yeah, aber haben sie dir das gesagt?" Schweigen. "Hey? Murray?" Schweigen. Der Wind pfeift wild durch das Gitterwerk, und unten auf der Straße scheppert ein Obstkarren, hölzern, leer, dunkel. Es muß vier Uhr früh sein. "Ich muß zurück jetzt, Scheiße, komm zu spät... "
    "Nein." Nur ein Flüstern ... Aber es war ihr "nein", er hat es nie vergessen. "Wer's da? Jenny? Bist du das, Jenny?"
    "Ja, ich bin's. Oh, Liebster, ich bin so froh, daß ich dich gefunden hab."
    "Aber ich muß ..." Würden SIE'S jemals zulassen, daß er mit ihr im Casino ... ?
    "Nein, ich kann doch selbst nicht." Aber was ist mit ihrer Stimme los?
    "Jenny, ich hab gehört, daß es euren Block erwischt hat, irgendwer hat's mir erzählt,
    am Tag nach Neujahr ... 'ne Rakete ... und ich wollte auch hingehen und nach dir
    schauen, aber... ich hab's einfach nicht getan ... und dann haben SIE mich in dieses
    Casino verschleppt... "
    "Ist ja gut."
    "Wenn ich aber nicht -"
    "Geh einfach nicht zu ihnen zurück."
    Und irgendwo, dunkle Fische im toten Brechungswinkel dieser Nacht, sind auch
    Katje und Tantivy, die beiden Besucher, die zu sehen er sich am meisten wünscht.
    Er versucht, die Stimmen umzufärben, die an seine Tür kommen, wie den Klang
    einer Harmonika, aber es klappt nicht. Das, was er will, liegt viel zu tief.
    Kurz vor dem Morgengrauen klopft es sehr laut, stahlhart. Slothrop ist
    geistesgegenwärtig genug, sich diesmal still zu verhalten.
    "Los jetzt, aufmachen!"
    "Militärpolizei, los, aufmachen!"
    Amerikanische Stimmen,

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