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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Doppelte Britische Sommerzeit - hier und jetzt an diesem Himmel offenbart sich ihm die gleiche Erscheinung, werden gleich die Bahnen auseinandergleiten, sein Gesicht wird sich im Licht verdunkeln, alles wird davongefegt werden, und er wird sich verlieren, so wie die Landschaft seiner Heimat es seit je verkündigt hat... ranke Kirchtürme auf all den herbstlichen Hügeln, weiße Raketen, die jeden Augenblick abgefeuert werden, ihr Countdown nur noch Sekunden vor der Null, Fensterrosetten, durch die das Licht des Sonntags auf die Gnade verheißenden Gesichter über den Kanzeln fällt, sie erhöht und reinigt, die da beteuern so und nicht anders wird es geschehen - und aus den Wolken heraus kommt sie, die riesige, helle Hand... 

[1.5] SEANCE

    Aus einem reichverzierten, dunklen Bronzeleuchter an der Wand summt sanft in laminarem Fluß ein Gaslicht - so eingestellt, daß es erzeugt, was die Wissenschaftler des vergangenen
    Jahrhunderts eine "fühlsame Flamme" nannten: Unsichtbar an der Wurzel, wo sie entspringt, verdämmert sie nach oben in ein samtigblaues Leuchten, das mehrere Zoll über dem Brenner schwebt, ein schimmernder, kleiner Kegel, der die subtilsten Luftdruckschwankungen im Raum zu spiegeln vermag. Die Flamme registriert jeden der Besucher, die den Raum betreten oder verlassen, die neugierig und beflissen herumstehen, so als ginge es auf dem runden Tisch nur um ein Glücksspiel. Der Kreis der Sitzenden wird weder abgelenkt, noch läßt er sich behindern. Nichts hier von den bekannten weißen Händen oder von leuchtenden Trompeten... Offiziere aus Camerons Regiment in engen, karierten Paradehosen, blauen Wickelgamaschen, Ausgehkilts schlendern, mit amerikanischen Soldaten plaudernd, herein. Geistliche sind anwesend, betagte Damen aus den Zeiten Edwards VII. in Crepe de Chine, Westindier, die ihre Vokale melodisch um weniger flexible russischjüdische Konsonantenketten schlingen, Heimwehrmänner und Feuerwehrleute auf Freischicht, die noch nach Rauch riechen und lieber eine Mütze voll Schlaf nehmen würden, was sie sich auch anmerken lassen. Die meisten nähern sich dem geheiligten Zirkel auf tangentialen Bahnen, manche bleiben, andere ziehen weiter in andere Räume, doch keiner unterbricht das schmächtige Medium, das nächst der fühlsamen Flamme mit dem Rücken zur Wand sitzt. Seine rötlichbraunen Locken liegen an wie eine enge Kappe, die Stirn ist hoch und glatt, die dunklen Lippen bewegen sich abwechselnd mühelos, dann wieder angestrengt: "Da er nun eingedrungen war ins Reich des Dominus Blicero, erkannte Roland bald, daß sich alle Zeichen gegen ihn gewandt hatten ... Lichter, die er so genau studiert hatte wie jeder von euch, versammelten sich jetzt alle um den Gegenpol, alle im Tanz ... einem sinnlosen Tanz. Keiner von Bliceros vertrauten Schritten, nein, etwas Neues war da... Fremdes... Auch wurde Roland des Windes gewahr, wie seine sterbliche Hülle es ihm niemals gestattet hatte. Er entdeckte es so ... so voller Freude,
    daß der Pfeil in ihn schwingen mußte ... Das ganze Jahr lang hatte dieser Wind geweht, in jedem Jahr, doch Roland hatte nur irdischen Wind verspürt ... er meint, nur seinen eigenen, persönlichen Wind ... In Wahrheit, Selena ... in Wahrheit weht der Wind überall..."
    An dieser Stelle bricht das Medium ab, schweigt eine Weile ... ein Stöhnen ... ein stiller, angstvoller Augenblick. "Selena, Selena. Bist du noch da?" "Ja doch, mein Liebes", ihre Wangen sind von getrockneten Tränen gefleckt, "ich höre ..."
    "Es ist die Kontrolle. Alle diese Dinge wurzeln in einer Schwierigkeit: der Kontrolle. Zum erstenmal kam sie von innen, siehst du das? Die Kontrolle ist nach innen verlagert. Man ist nicht mehr gezwungen, passiv unter Kräften zu leiden, die von außen kommen - in jeden Wind zu schwingen ... Als ob...
    Ein Markt brauchte nicht länger von der Unsichtbaren Hand gelenkt zu werden, sondern konnte sich jetzt selbst erschaffen -seine eigene Logik, seine Dynamik, seinen Stil, von innen heraus. Die Kontrolle nach innen zu verlagern bedeutete, eine vollendete Tatsache anzuerkennen: daß ihr mit Gott gebrochen hattet. Aber ihr habt eine größere und gefährlichere Illusion an seine Stelle gesetzt - die Illusion der Kontrolle: . Das ist ein Irrtum. Absolut. Niemand bewirkt. Die Dinge geschehen einfach. A und B existieren nicht, es sind nur Namen für Teile, die eigentlich untrennbar sein sollten ... "
    "Wieder so ein uspenskianischer Unsinn", flüstert eine Dame, die am Arm eines

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