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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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emporschössen. Immer anderswo. Das Geld versickerte in Investmentfonds, die verzweigter waren als jede Genealogie: was zurückblieb in Berkshire, wurde in Wäldern angelegt, deren schrumpfende grüne Weiten Morgen für Morgen und Schlag auf Schlag in Papier verwandelt wurden - Toilettenpapier, Banknoten, Zeitungspapier-, ein Medium oder Fundament für Scheiße, Geld und das Wort. Sie waren keine Aristokraten, kein Slothrop schaffte es jemals ins Gesellschaftsregister oder in den Somerset Club. In aller Stille führten sie ihre Unternehmungen, im Leben genauso gut an die Dynamik angepaßt, die sie umgab, wie sie es im Tode an die Friedhofserde sein würden. Scheiße, Geld und das Wort, die drei amerikanischen Wahrheiten, die die amerikanische Maschine in Gang hielten, ergriffen von den Slothrops Besitz, fesselten sie für immer an das Schicksal ihres Landes.
    Doch ihre Geschäfte florierten nicht - gerade, daß es ihnen gelang, sich zu erhalten. Auch als es sich zum Schlechten zu wenden schien, etwa zu der Zeit, da die niemals ferne Emily Dickinson schrieb
    Ruin ist planvoll, Teufels Werk, Mählich und Schritt für Schritt Den jähen Fall kein Mensch noch tat, Ausrutscht, wer stürzen soll,
    machten sie stur weiter. Für die anderen war die Richtung vorgezeichnet. Jeder kannte die Tradition: schürfen, roden, das Letzte herauspressen, dann weiter nach Westen, wo es immer noch mehr gab. Die Slothrops aber blieben im Osten, mit einer Trägheit, für die sie Gründe haben mußten. Störrisch harrten sie aus inmitten der überschwemmten Steinbrüche und kahlgeschlagenen Hänge, die sie wie unterschriebene Schuldbekenntnisse überall in ihrem fahlbraunen, moderigen Hexenland hinterlassen hatten. Die Profite verminderten sich, die Familie wuchs an. Noch immer wurden Zinserträge aus verschiedenen Anlagevermögen von den Familienbanken unten in Boston alle zwei oder drei Generationen neu investiert, in einem langen Rallentando, einer unendlichen Reihe, die von Transaktion zu Transaktion kaum merklich dahinstarb, ohne doch ganz die Null zu erreichen ... Als die Wirtschaftskrise kam, setzte sie nur den Schlußpunkt unter eine lange Entwicklung. Slothrop wuchs in einer ländlichen Melancholie auf, in der Existenzen zugrunde gingen, die Hecken rund um die Besitztümer der steinreichen legendären Weekendler aus New York an die grüne Wildnis zurückfielen oder verdorrten, die kristallenen Fensterscheiben eingeschmissen, die Harrimans und Whitneys verschwunden waren, englische Rasenflächen wieder zu Heu wurden und die Herbstmonate keine fernen Foxtrottklänge, Limousinen und Lichter mehr brachten, sondern nur die gewohnten Grillenrufe, die gewohnten Äpfel, frühe Frosteinbrüche, die die Singvögel verscheuchten, Ostwind, Oktoberregen, die üblichen Vorboten des Winters.
    1931, im Jahr des großen Hotelbrandes von Aspinwall, war der junge Tyrone zu Besuch bei seiner Tante und seinem Onkel in Lenox. Es war April, aber für eine Sekunde oder zwei, während er den Schlaf abschüttelte und das Getrappel der großen und kleinen Füße seiner Cousins und Cousinen auf der Treppe hörte, dachte er, es wäre Winter. Wie oft hatten ihn Paps oder Hogan um diese Zeit aus dem Bett geholt und gut verpackt nach draußen gebracht, damit er, durch einen Nebel aus Traum in die Kälte blinzelnd, das Nordlicht beobachten konnte. Er ängstigte sich zu Tode dabei. Konnten sich diese Vorhänge aus Licht nicht jeden Augenblick öffnen? Und was würden ihm die Geister des Nordens in ihrem prunkvollen Reich zu zeigen haben?
    Aber diesmal war es eine Frühlingsnacht, der Himmel leuchtete wütend rot und orange, in den Tälern von Pittsfield, Lenox und Lee heulten die Sirenen, und die Nachbarn standen auf ihren Veranden und starrten hinaus in den Funkenregen, der auf die Berghänge herabfiel... "Wie Sternschnuppen", sagten sie, oder: "Wie beim Feuerwerk am 4. Juli ..." Derlei Vergleiche zog man noch, im Jahre 1931. Ununterbrochen fiel glühende Asche vom Himmel, fünf Stunden lang, während die Kinder vor sich hindösten und die Erwachsenen sich ans Kaffeetrinken machten, wobei sie einander irgendwelche alten Brandgeschichten erzählten. Was aber hatte es auf sich mit diesem Licht? Welche Geister führten das Kommando? Was wäre, wenn, im nächsten Augenblick, das alles hier, die ganze Nacht, außer Kontrolle geriete? Wenn die Vorhänge sich tatsächlich öffneten und uns einen Winter zeigten, den keiner je geahnt hat?
    6 Uhr, 43 Minuten, 16 Sekunden

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