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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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weit her (nicht weit an Raum, sondern an Ebenen der Macht) vorgeschrieben werden, daß seine Entscheidungen nicht seine eigenen sind, sondern nur der Humbug eines Schauspielers, der einen Führer spielt. Er hat geträumt, Gefangener eines erbarmungslosen Projekts zu sein, aus dem er nicht mehr erwachen kann ... oft ist er an Bord eines Schiffes auf einem breiten Fluß, Anführer einer Rebellion, die scheitern muß, aber aus politischen Gründen noch ein wenig dauern darf. Er wird gejagt, seine Tage sind voller Fluchten und knappem Entkommen, das er erregend findet, voll physischer Anmut ... und dann die Verschwörung selbst! Sie ist von strenger, intensiver Schönheit, sie ist Musik, eine Symphonie des Nordens, einer arktischen Reise, vorbei an Küstenstrichen von tiefgrünem Eis, zum Fuß der Eisberge, umklammert, kniend, von der unglaublichen Musik, umspült von Wassern, die blau sind wie tiefblaue Farbe, ein grenzenloser Norden, ein unermeßliches Land, besiedelt von Menschen, deren alte Kultur und Geschichte abgeschirmt sind vom Rest der Welt durch einen Gürtel des Schweigens ... die Namen ihrer Halbinseln und Meere, ihrer langen und mächtigen Ströme sind unbekannt unten in der temperierten Welt... sie ist eine Heimkehr, diese Reise: er ist alt geworden, eingesperrt in seinen Namen, die rauschhafte Musik der Reise ist Musik, die er selbst geschrieben hat, vor so langer Zeit, daß er alle Erinnerung verloren hatte ... und nun findet sie ihn wieder...
    "Ärger in Hamburg -" Andreas kritzelt hastig, zieht eine der Kopfhörermuscheln plop von der schweißnassen Haut, um nach beiden Seiten übermitteln zu können. "Klingt so, als könnten's wieder die DPs sein. Empfang sehr schlecht. Schwimmt immer wieder weg -"
    Seit der Kapitulation kommt es ständig zu Zusammenstößen zwischen deutschen Zivilisten und ausländischen Gefangenen, die aus den Lagern befreit worden sind. Im Norden haben polnische, tschechische und russische DPs ganze Städte eingenommen, die Arsenale und Lebensmittellager geplündert und sich häuslich eingerichtet. Aber noch weiß keiner so recht, was von den Männern der lokalen Schwarzkommandos zu halten ist. Manche sehen nur die zerfetzten Reste von SS-Uniformen und reagieren darauf, auf die eine oder andere Weise. Andere halten sie für Marokkaner oder Inder, die es irgendwie aus Italien über die Alpen verschlagen hat. Viele Deutsche erinnern sich noch an die Besetzung des Rheinlandes durch französische Kolonialtruppen vor zwanzig Jahren, an die Plakate mit der schreienden Zeile schwarze Besatzung am rhein. Ein zusätzlicher Akzent im Muster. Erst letzte Woche sind in Hamburg zwei Mitglieder des Schwarzkommandos erschossen worden, einige weitere schlimm zugerichtet. Die englische Militärregierung schickte ein paar Soldaten, aber erst als die Schüsse längst gefallen waren. Ihr Hauptinteresse schien darin zu liegen, eine Ausgangssperre durchzusetzen. "Es ist Onguruve." Andreas gibt Enzian die Kopfhörer und drückt sich aus der Nische.
    "... kann nicht sagen, ob es uns gilt oder der Ölraffinerie..." krächzt die Stimme unter Wellen von Rauschen, "... hundert, vielleicht zweihundert... so viele.... -ehre, Schlagstöcke, Revolver -"
    Bl-bliep, ein zischender Schwall, dann eine vertraute Stimme: "Ich kann ein Dutzend Männer schicken."
    "Hannover antwortet", murmelt Enzian, um einen amüsierten Unterton bemüht. "Du meinst Josef Ombindi." Andreas ist keineswegs erheitert. Nun ist Onguruve, der hier um Hilfe bittet, gegenüber der Fraktion der Leeren stets neutral geblieben oder hat es jedenfalls versucht. Wenn Ombindi jetzt seine Verstärkungen nach Hamburg bringt, könnte er sich leicht entschließen, dort zu bleiben. Hannover, selbst mit dem VW-Werk, kann für ihn nie mehr sein als ein Sprungbrett. Hamburg gäbe den Leeren eine stärkere Machtbasis, und hier scheint sich die Gelegenheit zu bieten. Außerdem dürfte der Norden ohnehin ihr Element sein ...
    "Ich werde selbst rauf müssen." Er gibt Andreas die Kopfhörer zurück. "Stimmt was nicht?"
    "Es könnte ein Trick der Russen sein, um dich rauszulocken."
    "Ist schon gut. Hör auf, dir wegen Tschitscherin Gedanken zu machen. Ich glaube
    kaum, daß er oben ist."
    "Aber dein Europäer hat gesagt -"
    "Der? Ich weiß nicht, wie weit man ihm trauen kann. Vergiß nicht, auf dem Zug habe ich ihn mit Marvy sprechen hören. Jetzt ist er bei Tschitscherins Mädchen in Nordhausen. Ich meine, würdest du so einem trauen?"
    "Aber wenn Marvy ihm jetzt

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