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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Weber gesprochen, fast als eine bezeichnen?" "Outase", sagt Enzian, was eins von vielen Herero-Wörtern für Scheiße ist, in diesem Fall für einen großen, frischen, feuchten Kuhfladen.
    Andreas Orukambe sitzt in einem Felsenalkoven vor seiner armeegrün geriffelten Sende/Empfangskombination, ein Paar Kopfhörer aus Hartgummi über den Ohren. Die Schwarzkommandos benützen das 50-Zentimeter-Band - dasselbe, in dem auch das Hawaii-II-Leitsystem der Rakete gearbeitet hat. Wer, wenn nicht Raketennarren, würde bei 53 cm abhören? Die Schwarzkommandos können zumindest sicher sein, daß sie von allen Mitbewerbern in der Zone überwacht werden. Die Sendungen aus der Erdschweinhöhle beginnen um drei Uhr früh und dauern bis in die Dämmerung. Andere Schwarzkommando-Stationen senden nach ihren eigenen Zeitplänen. Die Verkehrssprache ist Herero, hier und da mit einem deutschen Lehnwort (was bedauerlich ist, denn gerade dabei handelt es sich meistens um technische Fachausdrücke, die jedem, der mithört, Rückschlüsse erlauben). Andreas ist jetzt in der zweiten Mittelwache, schreibt meistens mit, antwortet nur, wenn nötig. Einen Sender in Betrieb zu setzen ist eine Einladung an die akute Paranoia: Schlagartig entsteht ein Muster aus Antennen, Tausende von Quadratkilometern voller Feinde, alle gesichtslos, ganz Ohr an ihren Empfängern sitzend in ihren nächtlichen Lagern überall in der Zone. Obwohl sie untereinander in Verbindung stehen - beim Schwarzkommando hört man so viel wie möglich mit-, obwohl es keine Illusionen darüber geben kann, was sie mit dem Schwarzkommando vorhaben, halten sie sich immer noch zurück, warten auf den günstigsten Zeitpunkt, loszuschlagen und alles, spurlos, restlos, zu vernichten ... Enzian glaubt, daß sie warten werden, bis die erste afrikanische Rakete fertig montiert und abschußbereit ist: Es wird besser aussehen, wenn sie gegen eine offenkundige Bedrohung vorgehen, gegen sichtbaren Stahl. Bis es soweit ist, versucht er, die Sicherheitsvorkehrungen so streng wie möglich zu handhaben. Hier, in der Heimatbasis, ist das kein Problem: mit weniger als einem Regiment könnten sie hier nicht eindringen. Weiter draußen in der Zone aber, in Raketenstädten wie Celle, Enschede, Hachenburg - dort können sie uns einzeln fassen, Mann für Mann, erst eine Zermürbungskampagne, dann der große, koordinierte Schlag ... und dann bleibt nur die Mutterstadt noch zu belagern, zu erdrosseln...
    Vielleicht ist es ja nur Theater, aber sie scheinen nicht länger Alliierte zu sein... obwohl uns die Geschichte, die sie sich selbst erfunden haben, geradezu zwingt, "Nachkriegsrivalitäten" zu erwarten ... auch wenn es sich in Wahrheit um ein gigantisches Kartell handeln mag, in dem Gewinner und Verlierer friedlich abgesprochen haben, wie sie unter sich aufteilen, was es aufzuteilen gibt... Trotzdem hat Enzian sie ausgespielt, die Aasgeier, die sich um die Beute reißen, einer gegen den anderen ... aussehen tut es echt genug... Marvy muß inzwischen mit den Russen zusammen sein, mit General Electric dito - ihn damals in der Nacht vom Zug zu schmeißen brachte uns - ja, was? einen Tag oder zwei, und wie gut haben wir diese Zeit genutzt?
    Darauf läuft es immer wieder hinaus, von der Hand in den Mund, ein tageweises Weiterbosseln, kleine Erfolge, kleine Niederlagen. Und Tausende von Details, von denen jedes einzelne genügt, den tödlichen Fehler zu machen. Enzian wünscht sich Distanz zu den Dingen, mehr, als er sich erlauben kann - den Überblick, Entwicklungen vorherzusehen, gleich zu wissen, an jedem Scheideweg, welche Entscheidung richtig, welche falsch gewesen wäre. Aber es ist ihre Zeit, ihr Raum, und was er, naiv, erwartet, sind Ergebnisse, die das weiße Kontinuum schon vor Jahrhunderten aus dem Katalog seiner Hoffnungen ausgeschieden hat. Die Details -Ventile, Spezialwerkzeuge (die es vielleicht gar nicht gibt), Eifersüchteleien und Intrigen in der Erdschweinhöhle, verschollene Arbeitsanleitungen und Handbücher, Techniker auf der Flucht aus Ost und West, Lebensmittelknappheit, kranke Kinder -wirbeln wie Nebel, jedes Teilchen mit seinem eigenen Aufgebot an Kräften und Richtungen ... er kann sich nicht mit allen zugleich beschäftigen, und wenn er dem einzelnen zuviel Zeit widmet, riskiert er, die anderen zu verlieren ... Doch es sind nicht nur die Details. Er hat, in Augenblicken der Träumerei oder der ehrlichen Verzweiflung, oft das beklemmende Gefühl, daß er nur Zeilen aufsagt, die ihm von

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