Die Enden der Parabel
Damasttischtuch, ihrem Zauberkörper, ihrem Bett in ihrem Salon und hundert soirees fantastiques... Um die Mitte des Nachmittags hat er Zehlendorf passiert, seine Rocketman-Kluft angelegt und ist bereit zum Übertritt. Die russischen Posten warten unter einem rot gestrichenen hölzernen Torbogen, behängt mit Suomis oder Degtjarows, großkalibrigen Maschinenpistolen mit Trommelmagazinen. Auch ein Stalin-Panzer kommt noch angebullert, bedächtig schwankend, einen Soldaten mit Helm und Ohrenschützern in der Turmklappe, der in ein Walkie-Talkie bellt... hm, naja ... Auf der anderen Seite des Torbogens steht ein russischer Jeep mit zwei Offizieren, von denen einer seinerseits ernsthaft in das Mikro eines Funkgerätes spricht. Die Luft dazwischen wird durchschossen von gesprochenem Russisch, das in Lichtgeschwindigkeit ein Netz webt, ein Fangnetz für Slothrop. Wen sonst? Er wirft sein Cape mit großer Gebärde zurück, tippt an seinen Helm und grinst. Mit der Behendigkeit eines Taschenspielers zaubert er Karte, Passierschein und zweisprachigen Sonderausweis hervor und läßt ein paar Sätze über eine Galavorstellung in diesem Potsdam fallen.
Einer der Posten schnappt sich den Ausweis und verschwindet in seinem Kiosk, um zu telephonieren. Die anderen stehen da und starren auf Tschitscherins Stiefel. Keiner spricht. Der Anruf zieht sich in die Länge. Zernarbtes Leder, Tagesbärte, Backenknochen in die Sonne. Slothrop überlegt sich ein paar Kartentricks, mit denen er das Eis brechen könnte, als der Wachtposten seinen Kopf rausstreckt: "Stiefeln, bitte."
Die Stiefel? Was wollen die denn mit den -yaaahhhl Die Stiefel, natürlich, klar. Wir wissen, gar kein Zweifel, wer am anderen Ende dieser Leitung ist, nicht wahr? Slothrop kann die Metallteile des Mannes förmlich klingeln hören vor Freude. Auf dem rauchigen Berliner Himmel, irgendwo links über dem stahlwolligfernen Funkturm, erscheint ein ganzseitiges Photo aus Life: Es zeigt Slothrop im Raketenmensch-Kostüm mit einer langen, steifen Wurst von sehr beträchtlichem Durchmesser, die ihm senkrecht in den Mund hineingetrieben wird, und zwar- obwohl die Hand, die diese erstaunliche Wiener führt, nicht mit im Bild ist - derart gewaltsam, daß es ihm beide Augen einwärts verdreht, ein reinfall für rocketman, lautet die Bildlegende:" Kaum in der Luft, geht der neue Star der Zone auch schon baden." Tja-ha-ha, Slothrop schlüpft aus den Stiefeln, der Wachsoldat nimmt sie mit ans Telephon-die anderen lehnen Slothrop gegen den Bogen und filzen ihn von Kopf bis Fuß, wobei sie aber nur Saures Reefer finden, der beschlagnahmt wird. Slothrop wartet in seinen Socken und versucht, nicht vorauszudenken. Vielleicht schielt er nach Deckung. Aber Sense. Freies Schußfeld im Kreis von 360 Grad. Gerüche nach frischem Asphalt und dem Schmierfett der Waffen. Der Jeep wartet in metallischem Graugrün: die Straße nach Berlin, gerade jetzt, menschenleer ... Vorsehung, hey, Vorsehung, was machst du denn, gerade mal raus auf 'n Bier oder was? Keineswegs. Die Stiefel tauchen wieder auf, der grinsende Wachtposten dahinter. "Stimmt, Herr Schlepzig." Wie klingt Ironie auf russisch? Sie sind unergründlich für Slothrop, diese Vögel. Aber Tschitscherin wäre gerissen genug gewesen, Slothrop nicht zu warnen mit dieser Stiefelinspektion. Nö, er kann's nicht gewesen sein am Telephon. Bestimmt nur 'ne Routineuntersuchung wegen Schmuggel, weiter nichts. Slothrop wird sogleich von dem ergriffen, was im Buch der Wandlungen die Jugendtorheit heißt. Er wirbelt sein grünes Cape noch etliche Male um sich herum, knöpft einer der Maschinenpistolen einen bulligen Balkan-Stumpen ab und tänzelt gen Süden davon. Der Offiziersjeep bleibt, wo er ist. Der Panzer ist verschwunden.
Jubilee Jim, ja, der trödelt durch die Lande, Winkt allen Ladies von Stockbridge bis nach Lee -Kauf deiner Holden 'ne Spange für die Löckchen Und für die Strengen zum Schleuderpreis ein Stöckchen. Hey, kommt alle her, kommt mit zum Jubilee!
Dreieinhalb Kilometer weiter stößt Slothrop auf den Kanal, den Säure erwähnt hat. Auf einem Saumpfad klettert er unter die Brücke hinunter, wo es eine Minute lang feucht ist und kühl, dann geht er am Ufer entlang weiter, auf der Suche nach einem Boot, das er kapern könnte. Mädchen in Boleros und Shorts, braun und golden, sonnen sich auf dem träumenden Grashang. Der Nachmittag mit seinen Federwolken wird weicher, rundgeschliffen an den Kanten, Kinder mit Angelschnüren knien am
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