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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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birgt...
    Das Haus Kaiserstraße 2 ist ein grober, hochpreußischer Klotz, getüncht in einer Art Kotze-Braun, dem das eiskalte Licht nicht sonderlich bekommt. Es ist schwerer bewacht als jedes andere auf dem Gelände. Warum ausgerechnet, fragt sich Slothrop. Dann sieht er die Schablonenschrift an der Wand mit dem Aliasnamen dieses Ortes.
    "Oh, nein. Genug. Schluß mit dem Quatsch!" Für einen Augenblick steht er zitternd auf der Straße und verflucht diesen Seaman Bodine als einen Pfuscher, Schurken und Agenten des Todes. Die Aufschrift lautet the white house. Bodine hat ihn geradewegs zu dem schnieken bebrillten Fremdling geführt, der heute morgen auf die Friedrichstraße heruntergestiert hat - zu dem Gesicht, das so geräuschlos eingesickert ist an die Stelle dessen, das Slothrop nie gesehen hat und nicht mehr sehen wird.
    Die Posten mit ihren umgehängten Gewehren sind so leise wie er selbst. Das Licht der Bogenlampen verwandelt die Falten seines Umhangs in patinierte Bronze. Hinter der Villa plätschert Wasser. Musik setzt drinnen ein und übertönt das Geräusch. Eine Vorstellung. Kein Wunder, daß er so leicht reingekommen ist. Haben sie diesen Zauberkünstler, diesen späten Gast erwartet? Glamour. Ruhm! Er könnte hineinrennen, sich jemandem zu Füßen werfen und um Amnestie flehen. Was leicht mit einem Rundfunkvertrag für den Rest seines Lebens enden könnte, oder in einem Filmstudio! Das ist es, was man Gnade nennt, nicht wahr? Er dreht sich um und schlendert betont unauffällig aus dem Lichtkreis heraus, auf der Suche nach einem Weg hinunter ans Wasser.
    Das Ufer des Griebnitzsees ist dunkel, sternenerleuchtet, bewehrt mit Stacheldraht, belebt von patrouillierenden Posten. Die Lichter von Potsdam blinzeln herüber, zerfließende Säulen auf dem schwarzen Wasser. Slothrop muß mehrmals bis an den Arsch hinein, um die Stacheldrahtverhaue zu umgehen. Als die Wachtposten am
    Ende ihrer Runde für eine Zigarette stehenbleiben, spurtet er mit flatterndem Umhang und tropfnaß hinauf zum Haus. Bodines Haschisch ist unter einem bestimmten Holunderbusch unmittelbar vor einer Seitenfront der Villa vergraben. Slothrop kauert sich nieder und beginnt mit bloßen Händen, die Erde wegzuscharren. Drinnen ist was los. Mädchenstimmen singen "Don't Sit Under the Apple Tree", und wenn das nicht die Andrew-Sisters sind, dann könnten sie's zumindest sein. Begleitet werden sie von einer Tanzkapelle mit einer riesigen Saxophonbesetzung. Lachen, Gläserklingen, vielsprachiges Geplapper, ein normaler Werktagsabend hier auf der großen Konferenz. Das Haschisch steckt, eingewickelt in Stanniolpapier, in einem schon vermodernden Leinenbeutel. Es riecht wirklich prima. So ein Jammer, daß er vergessen hat, sich 'ne Pfeife mitzunehmen.
    Aber das ist gar nicht nötig, Über Slothrop, in Kopfhöhe, befindet sich eine Terrasse, und ein Spalier Pfirsiche steht in milchiger Blüte. Als er sich gerade bückt und den Beutel hochhieven will, öffnen sich die Terrassentüren, und jemand tritt heraus, um Luft zu schnappen. Slothrop erstarrt, denkt nur ein Wort: unsichtbar ... unsichtbar... Die Schritte kommen näher, und über das Geländer lehnt sich - tja, es mag seltsam klingen, aber es ist Mickey Rooney. Slothrop erkennt ihn sofort, Judge Hardys sommersprossiger, frecher Sprößling, dreidimensional, in Fleisch und Blut, mit Smoking und einem Verlier-ich-jetzt-den-Verstand-Gesicht. Mickey Rooney starrt hinunter auf den Raketenmenschen mit seinem Beutel Haschisch, ein tropfendes Trugbild mit Spitzhelm und Cape. Mickey Rooneys glänzende schwarze Schuhe in Nasenhöhe vor sich, blickt Slothrop in das erleuchtete Zimmer im Hintergrund, sieht jemanden, der ein wenig Churchill ähnelt, sieht eine Menge Damen in Abendkleidern, die so tief ausgeschnitten sind, daß er selbst aus der Froschperspektive mehr Titten zu sehen kriegt als je bei Minsky... und vielleicht, vielleicht erhascht er sogar einen Blick auf diesen Präsidenten Truman. Er weiß, daß er Mickey Rooney sieht, auch wenn Mickey Rooney, wohin immer es ihn auch verschlagen mag, niemals die Tatsache zugeben wird, daß er Slothrop gesehen hat. Es ist ein außergewöhnlicher Moment. Slothrop fühlt, daß er etwas sagen sollte, doch seine Sprachzentren lassen ihn auf drastische Weise im Stich. Einfach nur: "Hey, Sie sind doch Mickey Rooney" scheint der Situation nicht angemessen. So schweigen sie beide still, während die Nacht des Sieges vorüberweht und die Großen im gelben,

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