Die Enden der Parabel
sich nennt."
Nach dem Film wurde Squalidozzi Gerhardt von Göll vorgestellt, auch bekannt unter seinem nom de pegre "Der Springer". Es schien, daß Waxwings und von Gölls Leute sich hier zu einer Art fliegender Vollversammlung getroffen hatten, an einem Schnittpunkt ihrer rumpelnden Fahrten über die Straßen der Zone in Konvois von Bussen und Lastern, die sie so häufig wechselten, daß sie nicht einmal Zeit für Schlafpausen fanden, nur für hastige Nickerchen - bis es wieder, niemals angekündigt, aussteigen und umladen hieß, mitten in der Nacht, mitten auf einem freien Feld, um weiterzufahren in einem anderen Fahrzeug und auf anderen Straßen, ohne bekanntes Ziel, ohne vorbestimmte Routen. Den größten Teil ihres Fuhrparks verdankten sie der Sachkunde eines Veteranen der Automarder namens Edouard Sanktwolke, der alles kurzzuschließen vermochte, was Räder oder Ketten hatte, und stets eine maßgefertigte Schatulle aus Ebenholz mit sich herumschleppte, in deren samtausgeschlagenen Fächern Verteilerfinger für sämtliche Marken, Modelle und Baujahre bereitlagen, falls ein argwöhnischer Eigner dieses lebenswichtige Glied aus seinem Vehikel entfernt haben sollte.
Squalidozzi und von Göll waren sofort auf der gleichen Wellenlänge. Der Filmregisseur, der zum Schwarzmarkthändler geworden war, hatte beschlossen, seine zukünftigen Filme aus den riesigen Profiten zu finanzieren, die er jetzt erzielte. "Das ist die einzige Garantie, das Recht zum letzten Schnitt zu bekommen, verdad? Sagen Sie mal, Squalidozzi, sind Sie zu rein für so was? Oder könnte Ihr Anarchistenprojekt ein wenig Unterstützung gebrauchen?"
"Käme darauf an, was Sie von uns wollen." "Einen Film natürlich. Was würde Ihnen denn gefallen? Wie wär's mit Martin Fierro?"
König Kunde. Martin Fierro ist mehr als der Gaucho-Held eines großen argentinischen Epos. Auf dem U-Boot hält man ihn für einen Heiligen der Anarchie. Das Gedicht von Hernandez spielt schon seit Jahren eine aktuelle Rolle in der politischen Diskussion in Argentinien - jeder hat seine eigene Interpretation, und oft wird es mit gleicher Leidenschaft zitiert wie von den Politikern im Italien des 19. Jahrhunderts I promessi sposi. Der Grundkonflikt ist die alte, fundamentale Polarität Argentiniens: Buenos Aires gegen die Provinzen, oder, wie Felipe es sieht, die Zentralregierung gegen den Gaucho-Anarchismus, zu dessen führendem Theoretiker er geworden ist. Er trägt einen von diesen rundkrempigen Hüten mit Troddeln dran und hat sich angewöhnt, in den Luken auf Graciela zu lauern - "Guten Abend, meine Taube, hast du nicht einen Kuß übrig für deinen Gaucho-Bakunin?"
"Du siehst mir mehr wie ein Gaucho Marx aus", mault Graciela und schickt Felipe zurück zu dem Treatment, an dem er für von Göll schreibt, zu seiner Rechten El Natos Exemplar des Martin Fierro, das schon längst in lose Blätter zerfleddert ist und nach den Pferden riecht, deren Namen El Nato, tränenreich mamao, Stück für Stück auswendig kennt...
Eine beschattete Ebene nach Sonnenuntergang. Eine riesige Flachheit. Die Kamera in tiefer Perspektive. Menschen kommen ins Bild, einzeln oder in kleinen Gruppen, unterwegs über die Ebene zu einer Siedlung am Ufer eines kleinen Flusses. Pferde und Rinder, Lagerfeuer vor der wachsenden Dunkelheit. Weit entfernt, am Horizont, erscheint ein einsamer Reiter, der näher kommt, während die Titel ablaufen. Schließlich erkennen wir die Gitarre, die er umgehängt auf dem Rücken trägt: Er ist ein payador, ein wandernder Sänger. Er erreicht das Feuer, steigt ab und setzt sich zu den Leuten. Nach dem Essen und einer Runde Cana greift er zu seiner Gitarre, beginnt die drei Baßsaiten, die bordona, zu schlagen und singt:
Aqui me pongo a cantar al compas de la viguela, que el hombre que lo desvela una pena estrordinaria, como la ave solitaria con el cantar se consuela.
So beginnt, während der Gaucho singt, sich seine Geschichte zu enthüllen: eine Montage von Szenen aus seiner Kindheit auf der Estancia. Dann kommt die Armee und preßt ihn zu den Waffen. Schickt ihn hinaus an die frontera, um Indianer zu töten. Es ist zur Zeit von General Rocas Kampagne, die Pampas zu erschließen, indem man die Menschen ausrottet, die dort leben. Die Dörfer werden zu Arbeitslagern, immer größere Teile des Landes geraten unter die Kontrolle von Buenos Aires. Martin Fierro ist bald angewidert davon. Es widerspricht allem, wovon er weiß, daß es Recht ist. Er desertiert. Man
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