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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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ich nie erfahren." Squalidozzi kratzte sich an seinem zotteligen
    Kopf. "Vielleicht war es dumm von mir."
    "Du hattest keinen weiteren Kontakt mit ihm?"
    "Überhaupt keinen."
    "Dann werden wir beobachtet", sagte Belaustegui finster. "Wer immer das gewesen ist, er war heiß. Du bist mir schon ein Menschenkenner."
    "Was hätte ich tun sollen? Ihn zuerst zum Psychiater schleppen? Alternativen abwägen? Mich für ein paar Wochen zurückziehen, um darüber nachzudenken?" "Er hat recht", El Nato mit erhobener, breiter Faust. "Überlaßt das Denken und Analysieren den Weibern. Ein Mann muß voranschreiten und dem Leben ins Gesicht sehen."
    "Du widerst mich an", sagte Graciela Imago Portales. "Du bist kein Mann, du bist ein schwitzendes Pferd."
    "Vielen Dank", verbeugte sich El Nato, mit der ganzen Würde eines Gauchos. Keiner wurde laut an diesem Abend zwischen den stählernen Schotten. Ruhige, gedämpfte S-Laute bestimmten die Konversation, palatale ys, die eigentümliche, verhaltene Schärfe des argentinischen Spanisch, bewahrt durch Jahre von Enttäuschungen und Selbstzensur, Jahre von kunstvollen Fluchten vor der politischen Realität, die ihren Staat lebendig gemacht hatten in den Muskeln ihrer Zungen, in der feuchten Intimität gleich hinter den Lippen ... pero che, no sos argentino ...
    In Bayern stolperte Squalidozzi durch die Außenbezirke einer Stadt, mit nur wenigen Minuten Vorsprung vor einem Rolls-Royce mit einer unheilverkündenden Kuppel auf dem Dach, grünes Plexiglas, durch das man nicht sehen konnte. Es war kurz nach Sonnenuntergang. Auf einmal hörte er Gewehrschüsse, Hufschläge, nasale und metallische Stimmen auf englisch. Aber die malerische kleine Stadt schien verlassen. Wie war das möglich? Er betrat ein Labyrinth aus Ziegelmauern, das einmal eine Harmonikafabrik gewesen war. Spritzer von Glockenmetall lagen, für immer ungeläutet, im Sand der Gießerei. Gegen eine hohe Wand, die erst seit kurzem weiß gestrichen zu sein schien, trommelten die Schatten von Pferden und Reitern. Auf Werkbänken und Kisten saß ein gutes Dutzend Zuschauer, die Squalidozzi sofort als Gangster erkannte. Zigarrenenden glommen, Mädchen flüsterten auf deutsch hin und her. Die Männer aßen Würste, zogen die Pellen durch weiße, gepflegte Zähne, die im Widerschein des Films aufblitzten. Sie trugen die Caligari-Handschuhe, die im Augenblick der große Hit des Zonensommers sind: knochenweiß, mit Ausnahme von vier dunkelvioletten Linien, die sich auf jedem Handschuhrücken vom Handgelenk zu den Fingerknöcheln spreizen. Ihre Anzüge leuchteten fast ebenso hell wie ihre Zähne, was Squalidozzi, nach Buenos Aires und Zürich, recht extravagant erschien. Die Gangsterbräute schlugen ständig ihre Beine übereinander. Sie waren nervös wie Vipern. In der Luft hing ein grasiger Geruch, ein Geruch nach brennenden Blättern, der dem Argentinier, todkrank vor Heimweh, seltsam vorkommen mußte, konnte er ihn doch mit nichts anderem in Verbindung bringen als dem Geruch von frisch aufgebrühtem Mate nach einem bitteren Tag bei den Pferderennen. Verzierte Fensterrahmen gaben den Blick auf die Ziegel des Fabrikinnenhofes frei, durch den ein leichter Sommerwind blies. Das Filmlicht flackerte blau über leere Fensterhöhlen, als wäre es Atem, der einen Ton erzeugen wollte. Die Bilder wurden stumpf vor Rachsucht. "Yay!" heulten all die Zooter, und weiße Handschuhe hüpften auf und ab. Ihre Münder und Augen waren weit aufgerissen wie die von Kindern. Die Filmrolle war zu Ende. Doch der Raum blieb dunkel. Eine riesige Figur in einem weißen Zoot-Anzug stand auf, reckte sich und schlenderte genau dorthin, wo Squalidozzi, starr vor Entsetzen, kauerte. "Hinter dir her, Amigo?" "Bitte nicht -"
    "Nein, nein. Keine Angst. Bleib hier und schau mit. Es ist ein Bob Steele. Ers'n klasser Zapfen. Hier drinnen bist du sicher." Seit Tagen schon, so stellte sich heraus, hatten die Gangster gewußt, daß sich Squalidozzi in der Gegend aufhielt: Sie konnten, obwohl er selbst im verborgenen blieb, seinen Weg aus den Bewegungen der Polizei erschließen, die nicht unsichtbar war. Blodgett Waxwing - denn kein
    anderer war es - brachte den Vergleich mit einer Wilson-Kammer und der Nebelspur, die ein geladenes Teilchen darin erzeugt... "Versteh ich nicht."
    "Ich bin mir selbst nicht sicher, ob ich's versteh, alter Freund. Aber wir müssen alles im Auge behalten. Zur Zeit überschlagen sich die ganzen kleinen Klugscheißer förmlich wegen diesem Zeug, das

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