Die Enden der Parabel
elektrischen Saal nichtsahnend weitermachen mit ihren Spielen.
Slothrop bricht als erster ab: legt einen Finger an den Mund und verdrückt sich, um die Hausecke und hinunter zum See, während Mickey Rooney, die Ellbogen auf das Geländer gestützt, beobachtend zurückbleibt.
Auf dem Rückweg, wieder am Uferrand entlang, vorbei an den Drahtbarrieren, auf die Pausen der Bewacher lauernd, den Leinenbeutel an seinem Schnürband schwingend, keimt in Slothrop der vage Plan, sich wieder ein Boot zu suchen und damit havelaufwärts nach Berlin zu rudern - na sicher! Das Einfachste ist immer das beste! Erst als er schwache Stimmen aus einer anderen Villa hört, dämmert's ihm, daß er sich womöglich schon auf dem russischen Teil des Geländes befindet. "Hmm", sagt sich Slothrop, "da werd ich lieber gleich -" Und da ist die Riesenwiener wieder. Gestalten, keinen Meter vor ihm, als wären sie dem See entstiegen. Er schreckt herum und starrt in ein breites, glattrasiertes Gesicht, Haare zu einer Löwenmähne zurückgekämmt, blitzende Stahlzähne, die Augen schwarz und sanft wie bei dieser Carmen Miranda -
"Ja", nicht der leiseste Akzent in seinem englischen Geflüster, "Sie wurden von Anfang an beschattet." Andere haben Slothrop bei den Armen gepackt. Hoch im linken spürt er etwas Spitzes, beinahe schmerzlos und sehr vertraut. Bevor er noch schreien kann, ist er schon weg, schon auf dem Rad, klammert sich voll Entsetzen an einen weißen Punkt, sich selbst, der immer kleiner wird im ersten Windstoß der Betäubung, scheu in Schwebe über der Grube des Todes ...
[3.8] 'Martin Fierro', John E. Badass
Eine sanfte Nacht, vollgeschmiert mit goldenen Sternen, eine Pampasnacht, wie Leopoldo Lugones sie so gern beschrieb. Das U-Boot dümpelt ruhig auf dem Wasser. Keine Geräusche, außer dem Gemecker der Lenzpumpe, die man von Zeit zu Zeit von unter Deck das Bilgewasser über Bord pumpen hören kann, und der Gitarre von El Nato, der im "Wintergarten" sitzt und tristes und milongas aus Buenos Aires spielt. Belaustegui ist unten und arbeitet am Generator. Luz und Felipe schlafen.
Neben der 20-mm-Flak lehnt Graciela Imago Portales und träumt. In ihren großen Tagen war sie die Stadtidiotin von B. A., eine Irre von der harmlosen Art, die Freunde hatte quer durch das ganze Spektrum, von Cipriano Reyes, der einmal für sie intervenierte, bis zur Accion Argentina, für die sie arbeitete, kurz bevor die Gruppe aufflog. Sie war eine besondere Favoritin der Literaten. Borges soll ihr einmal ein Gedicht gewidmet haben ("El laberinto de tu incertidumbre / Me trama con la disquietante luna...").
Die Mannschaft, die dieses U-Boot gekapert hat, stammt aus allen möglichen argentinischen Manien. El Nato spricht in einem Gaucho-Slang des 19. Jahrhunderts - Zigaretten sind "pitos", Kippen sind "puchos", es ist kein Cana, was er trinkt, sondern "la tacuara", und wenn er besoffen ist, dann ist er "mamao". Manchmal muß Felipe für ihn dolmetschen. Felipe ist ein schwieriger junger Poet mit einer Unmenge unerfreulicher Enthusiasmen, darunter auch romantischen und unzutreffenden Vorstellungen vom Leben der Gauchos. Er hängt ständig am Rockzipfel von El Nato. Belaustegui, der an Bord den Leitenden Ingenieur spielt, ist aus Entre Rios und ein Positivist in der lokalen Tradition. Für einen Propheten der Wissenschaft führt er eine beachtliche Messerhand, was mit ein Grund ist, weshalb sich El Nato noch nicht mit diesem gottlosen mesopotamischen Bolschewiken angelegt hat. Es ist eine Belastung für ihre Solidarität, aber schließlich nur eine unter mehreren. Luz ist zur Zeit mit Felipe zusammen, obwohl sie eigentlich Squalidozzis Freundin sein soll -nachdem Squalidozzi auf seinem Ausflug nach Zürich verschüttgegangen war, hatte sie sich auf der Basis einer eindringlichen Rezitation von Lugones' "Pavos Reales" mit dem jungen Dichter eingelassen, in einer lauen Nacht, als sie vor Matosinhos lagen. Für diese Bande ist Nostalgie wie Seekrankheit: nur die Hoffnung, daran zu sterben, hält sie am Leben.
Squalidozzi ist dann doch wieder aufgetaucht, in Bremerhaven. Der englische Geheimdienst hatte ihn quer durch das gehetzt, was noch von Deutschland übrig war, und Squalidozzi hatte keine Ahnung, weshalb.
. "Warum bist du nicht nach Genf gegangen und hast versucht, dich zu uns durchzuschlagen?"
"Ich wollte sie nicht auf die Spur von Ibargüengoitia bringen. Ich habe jemand
anderen geschickt."
"Wen?" wollte Belaustegui wissen.
"Seinen Namen habe
Weitere Kostenlose Bücher