Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
Vom Netzwerk:
die ausgetretenen Wege, unter bekannten Bäumen, vorbei am deutschen Goldfischteich, der ihn an die Heimat erinnerte, über den Golfplatz, auf dem die letzten weißschnurrbärtigen Männer des Tages sich durch Löcher und Hindernisse kämpften, während ihre Caddies in allegorischem Habacht in der Glut des Sonnenuntergangs standen, die Schlägerbündel faschistische Silhouetten ... Die Dämmerung fiel an diesem Abend bleich und gewalttätig auf Bad Karma herab: der
    Horizont war eine biblische Verwüstung. Greta hatte sich ganz in Schwarz gehüllt, ein Hut mit einem Schleier bedeckte ihr Haar fast vollständig, ihre Handtasche trug sie an einem langen Lederriemen über der Schulter. Als die Auswahl ihrer möglichen Ziele auf eins geschrumpft war, als Morituri in die ersten Fallen stolperte, die die Nacht für ihn auszulegen begann, erfüllte ihn Vorahnung wie ein Flußwind: wo sie während ihrer Abwesenheiten gewesen war, was mit den Kindern aus den Schlagzeilen -
    Sie waren angekommen am Rand des schwarzen Schlammlochs: der unterirdischen Gegenwart, alt wie die Erde, deren geringster Teil im Badeort dort hinter ihnen eingefaßt war und benannt ... Das Opfer sollte aus einem Jungen bestehen, der sich noch hier herumtrieb, nachdem die anderen schon gegangen waren. Sein Haar war kalter Schnee. Morituri konnte nur Bruchstücke von dem hören, was gesprochen wurde. Zuerst hatte der Junge keine Angst vor ihr. Er mochte sie nicht wiedererkannt haben aus seinen Träumen-was seine einzige Hoffnung gewesen wäre. Aber sie hatten das zu verhindern gewußt, seine deutschen Überwacher. Morituri stand abwartend im Hintergrund, knöpfte seine Uniformjacke auf, um sich frei bewegen zu können, obwohl er das gar nicht wollte. Kein Zweifel, daß sie alle einen abgebrochenen Akt aus einer früheren Zeit wiederholten ...
    Ihre Stimme begann lauter zu werden, der Junge zu zittern. "Du bist zu lange im Exil." Es war ein lauter Schlag in der Dämmerung. "Komm nach Hause, mit mir", sie schrie, "zurück zu deinem Volk." Jetzt versuchte er, wegzulaufen, doch ihre Hand, ihre behandschuhte Hand, ihre Klaue war auf ihn niedergestoßen und hatte seinen Arm gepackt. "Du kleines Stückchen jüdische Scheiße. Versuch nicht, vor mir davonzulaufen!"
    "Nein ..." doch ansteigend am Ende, provozierend, fragend.
    "Du weißt, wer ich bin. Mein Haus ist das Licht", sie überzog es jetzt, sprach in einem aufgesetzten Jiddisch, outriert und falsch, "ich ziehe durch die Diaspora auf der Suche nach den verlorenen Kindern. Ich bin Israel. Ich bin die Schechina, die Königin, die Tochter, Braut und Mutter Gottes. Und ich werde dich zurückführen in dein Heim, Fragment eines zerbrochenen Gefäßes, selbst wenn ich dich an deinem häßlichen kleinen beschnittenen Penis hinschleifen müßte -" "Nein... "
    So beging der Leutnant zur See Morituri den einzigen bekannten Akt des Heroismus in seiner ganzen Laufbahn. Er steht nicht mal in seiner Akte. Sie hatte den zappelnden Jungen gepackt, einen Handschuh emsig zwischen seinen Beinen. Morituri stürzte vorwärts. Einen Augenblick lang schwankten sie alle drei unschlüssig, aneinandergekettet. Ein graues Nazi-Standbild - es hätte "Die Familie" heißen können. Nichts von der stillen Größe der Griechen, nein: sie bewegten sich. Unsterblichkeit war nicht das Thema. Da lag der Unterschied: kein Überleben jenseits der aufnehmenden Sinne - kein Weitergeben. Zur Vergänglichkeit verdammt wie das Abenteuer von d'Annunzio in Fiume, wie das Reich selbst, wie jene armen Kreaturen, von denen sich der Junge jetzt losriß, um in den Abend zu verschwinden. Margherita brach am Rand des großen, lichtlosen Schlammlochs zusammen. Morituri kniete neben ihr, sie weinte. Es war furchtbar. Was ihn hierhergebracht hatte, was in ihm begriffen, was ihn so selbstverständlich erfüllt hatte, es fiel jetzt wieder in den Schlaf zurück. Seine Dressur, sein begriffliches, uniformiertes, hierarchisiertes Selbst gewann wieder die Oberhand. Zitternd kniete er auf dem Boden, verängstigter, als er es je in seinem Leben gewesen war. Greta war es, die ihn schließlich in den Ort zurückführte.
    Sie und Sigmund verließen Bad Karma noch in derselben Nacht. Der Junge mochte zu verschreckt gewesen sein oder das Licht zu schwach, oder Morituri selbst mochte mächtige Beschützer gehabt haben, denn er war weiß Gott sichtbar genug -aber es kam keine Polizei. "Ich dachte nie daran, selbst hinzugehen. In meinem Herzen wußte ich, daß sie gemordet

Weitere Kostenlose Bücher