Die Enden der Parabel
hatte. Sie mögen mich dafür verdammen. Aber ich sah deutlich, an was ich sie ausliefern würde, und es kam auf dasselbe heraus, ob in amtlichem Gewahrsam oder nicht, verstehen Sie." Der nächste Tag war der 1. September. Es gab für Kinder keine Möglichkeiten mehr, auf mysteriöse Weise zu verschwinden.
Der Vormittag hat sich verdunkelt. Regen spritzt unter die Markise. Die Schüssel mit Porridge ist doch noch unberührt vor Morituri stehengeblieben. Slothrop schwitzt, starrt auf die leuchtenden Überbleibsel einer Apfelsine. "Hören Sie", schießt es ihm durch sein hurtiges Hirn, "was ist dann mit Bianca? Glauben Sie, daß Bianca sicher ist bei dieser Greta?"
Er zwirbelt seinen großen Schnurrer: "Was meinen Sie damit? - ist es das, was Sie fragen wollen?"
"Oh, pip, pip, alter Japs, laß diese Masche -"
"Schaun Sie, wovor könnten Sie sie schon retten?" Ein Blick, der Slothrop aus seinem Trost herausluchst. Regen trommelt jetzt auf die Markisen, sprüh in klarem Filigran über die Kanten herab.
"Aber Moment mal. Scheiße, gestern, diese Frau in diesem Sprudelhof-" "Ja. Erinnern Sie sich. Greta sah auch Sie aus dem Fluß auftauchen. Und denken Sie an die ganze Folklore der Radioaktivität bei diesen Leuten - den Reisenden von Bad zu Bad, Saison um
Saison. Sie ist Gnade. Sie ist das heilige Wasser von Lourdes. Diese geheimnisvolle Strahlung, die soviel heilen kann - könnte sie vielleicht die letzte Heilung sein?" "Hm."
"Ich habe Gretas Gesicht beobachtet, als Sie an Bord kamen. Ich stand schon einmal am Rand einer radioaktiven Nacht mit ihr. Ich weiß, was sie diesmal sah: eins von den Kindern - bewahrt, genährt vom Schlamm, vom Radium, gewachsen und gestärkt in all den Jahren, die es langsam, zähflüssig und langsam, mit den unterirdischen Strömungen getrieben war, um endlich, zum Mann gereift, in den Fluß zu gelangen, aus ihrer schwarzen Strahlung wieder aufzutauchen und zu ihr zurückzukehren, der Schechina, der Königin, Braut, Tochter. Und Mutter. Mütterlich wie der schirmende Schlamm und die leuchtende Pechblende -" Fast genau über ihnen bricht plötzlich Donner los, ein blendendes Ei aus Schall. Irgendwo in der Explosion hat Slothrop gemurmelt: "Hörn Sie auf mit dem Quatsch." "Wollen Sie das Risiko eingehen, es nachzuprüfen?"
Wer ist das, ach-ja, ein japanischer Leutnant ist das, der mich so anschaut. Aber wo sind Biancas Arme, ihr wehrloser Mund ... "Tja, in ein, zwei Tagen sind wir in Swinemünde, stimmt's?" reden, um nicht - dann steh schon auf vom Tisch, du Arschloch -
"Wir werden alle in Bewegung bleiben, weiter nichts. Letzten Endes ist es egal." "Aber Sie haben Kinder, nicht? Wie können Sie so etwas sagen? Ist das Ihr ganzer Wunsch, weiter nichts als ?"
"Mein Wunsch ist, daß der Krieg im Pazifik beendet wird, damit ich nach Hause kann. Wenn Sie schon fragen. Jetzt ist die Jahreszeit der Pflaumenregen, der Baiu, wenn all die Pflaumen reif werden. Mein ganzer Wunsch ist, bei Michiko und den Mädchen zu sein und Hiroshima nie wieder zu verlassen. Es liegt auf Hondo, an der Inlandsee, eine hübsche Stadt und in der Größe gerade richtig, groß genug für städtische Vergnügungen, klein genug für die Gelassenheit, die ein Mann braucht. Aber diese Leute kehren niemals zurück, sie verlassen ihre Heimat, Sie sehen ja-" Doch einer der Knoten, welche die regenschwere Markise in ihrem Rahmen halten, hat sich gelöst, weißes Band schnurrt blitzschnell ab, peitscht durch den Regen. Das
Segeltuch sackt durch, überschüttet Slothrop und Morituri mit Regenwasser, und sie flüchten unter Deck.
In einem Gedränge aus eben aufgestandenen Krakeelern werden sie getrennt. Slothrop hat kaum noch etwas anderes im Kopf, als zu Bianca zu gelangen. Am Ende des Gangs, hinter einer Phalanx leerer Gesichter, entdeckt er Stefania, in weißer Strickweste und langen Hosen, die ihm zuwinkt. Sich zu ihr durchzufädeln kostet ihn fünf Minuten, die ihm einen Alexander-Birnenschnaps, einen Partyhut, einen Zettel auf dem Rücken, der jeden Leser auf Niederpommersch auffordert, Slothrop einen Tritt in den Arsch zu verpassen, Lippenstiftabdrücke in drei verschiedenen Schattierungen von Magenta sowie eine schwarze italienische Maduro eintragen, die der aufmerksame Spender bereits angeraucht hat. "Sie mögen ja durchaus wie die Seele des Festes aussehen", begrüßt ihn Stefania, "aber mich täuschen Sie nicht. Unter dieser fröhlichen Maske grinst das Gesicht eines Jonas."
"Sie meinen, äh, diesen, äh -"
"Ich
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