Die Enden der Parabel
Backbord aufreißen und den Blick auf ein paar letzte zerspellte Kräne und verkohlte Speicherhäuser freigeben, so naß und glänzend, daß man sie fast riechen kann, wie den Beginn des Marschlands, wo kein Mensch lebt. Danach wird die Küste wieder unsichtbar werden wie die offene See. Rund um die Anttbis wird sich das Oderhaff öffnen. Patrouillenboote werden heute nacht nicht unterwegs sein. Brecher auf Brecher wird aus der Dunkelheit herausrollen und über dem Bug zusammenstürzen, salziges Wasser aus den Lefzen des goldenen Schakals strömen ... Graf Wafna mit nichts als seiner Fliege am Leibe rückwärts taumeln, beide Hände voll von roten, weißen, blauen Chips, die sich klappernd auf Deck ergießen und niemals wieder einen Spieltisch sehen werden ... die Gräfin Bibescu, die auf der Back vom Bukarest von 1941 träumt, vom JanuarTerror, dem Geheul der Eisernen Garde im Radio: Lang lebe der Tod!, den Körpern der Juden und Linken, die an den Haken im städtischen Schlachthof hingen und auf Bretter tropften, die nach rohem Fleisch und Tierhaut rochen, während ein Junge von sechs oder sieben Jahren in einem Fauntleroy-Anzug aus Samt an ihren Brüsten saugen muß, sein feuchtes Haar in ihrem so ununterscheidbar wie jetzt beider Stöhnen, wird in der plötzlichen Weiße verschwinden, die über dem Bug explodiert ... Laufmaschen werden über Strümpfe perlen und seidene Kleider über Kunstseidenslips strömende Moires bilden ... Erektionen ohne Vorwarnung wieder schlapp werden, beinerne Knöpfe vor Entsetzen zittern ... die Lichter wieder angehen und die Decks sich in blendende Spiegel verwandeln ... und nicht allzu lange nach alldem wird Slothrop glauben, daß er sie gesehen hat, glauben, daß er Bianca wiederfindet - dunkle Wimpern, zusammengepreßt, und ein regennasses Gesicht, er wird sehen, wie sie auf dem glitschigen Deck ihren Halt verliert, genau in dem Augenblick, da die Anubis hart nach Backbord wegrollt, und selbst in diesem
Stadium der Dinge - selbst in seiner Ferne - wird er, ohne nachzudenken, hinter ihr hefhechten, wird sich, während sie verschwindet, unter den kreidebleichen Rettungsleinen hindurch und zu weit gleiten lassen, wird taumeln, als er Halt gewinnen will, aber noch vorher einen Schlag in die Nieren kriegen und ganz leicht über Bord gehen, und adios heißt's für die Anubis und ihre ganze heulende Faschistenladung, schon gibt's kein Schiff mehr, nicht einmal schwarzen Himmel, als der Regen in raschen Nadelstichen seine stürzenden Augen niederdrückt und er aufschlägt ohne Hilfeschrei, mit nichts als einem leisen, weinerlichen Scheiße!, dessen Tränen der weißen, windgepeitschten Wüste nichts hinzuzufügen haben, die für heute nacht als Oderhaff dahingeht...
[3.19] Frau Gnahb
Die Stimmen klingen deutsch. Sieht aus wie 'n Fischkutter, den man aus irgendeinem Grund seiner Netze und Spieren beraubt hat. An Deck ist Ladung aufgestapelt. Ein rosagesichtiger Jüngling steht mittschiffs am Schanzkleid, wiegt sich in Seemannsbeinen und pliert auf Slothrop herab. "Er trägt einen Abendanzug", ruft er in Richtung Ruderhaus. "Ist das gut oder schlecht? Sie gehören nicht etwa zur Militärregierung, oder?"
"Herr im Himmel, Jungchen, ich ersaufe! Ich unterschreib dir ein Formular, wenn's sein muß." So sagt man nämlich Howdy Podner auf deutsch. Der Junge streckt eine rosa Hand aus, deren Innenfläche mit Entenmuscheln bewachsen ist, und hievt Slothrop an Deck, wo er, die Ohren blaugefroren, salzigen Rotz aus der Nase tropfend, auf hölzernen Planken zusammensackt, die vom Geruch von Generationen von Fischen imprägniert und von härterer Ladung zerkratzt sind. Mit einer jähen Woge von Beschleunigung, die Slothrop naß nach achtern kullern läßt, nimmt der Kutter wieder Fahrt auf. Hinter ihnen schäumt eine gigantische Gischtwolke in den Regen. Aus dem Ruderhaus ertönt ein irres Lachen. "Hey, wer oder was kommandiert diesen Kahn?"
"Meine Mutter." Mit einem hilflos-flehentlichen Blick kauert sich der rosa Jüngling neben ihn hin: "Der Schrecken der Meere."
Diese apfelwangige Dame ist Frau Gnahb, und der Name ihres Sohnes lautet Otto. Wenn sie Zärtlichkeit in sich aufwallen fühlt, nennt sie ihn den "Stillen Otto", was sie für sehr komisch hält, aber langsam kriegt es einen Bart. Während sich Slothrop aus seinen Smokinghosen schält, die zum Trocknen aufgehängt werden, und sich in eine alte Armeedecke wickelt, erzählen ihm Mutter und Sohn, wie sie den Stückgutvefkehr der
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