Die Enden der Parabel
mich dort behielten. Ich schlief, ich wachte. Männer erschienen und verschwanden. Die Zeit hatte jegliche Bedeutung eingebüßt. Eines Morgens befand ich mich außerhalb der Fabrik, nackt, im Regen. Nichts wuchs an dieser Stelle. Es war eine Art Abraumhalde, die sich fächerförmig und kilometerweit hinzog. Ein teeriger Abfall. Ich mußte den ganzen Weg zur Schußstelle zu Fuß zurückwandern. Sie waren alle fort. Thanatz hatte mir eine Nachricht zurückgelassen: Ich sollte versuchen, mich nach Swinemünde durchzuschlagen. An der Schußstelle mußte etwas vorgefallen sein. Über der Lichtung lag ein Schweigen, wie ich es nur ein einziges Mal zuvor erlebt hatte. Einmal, in Mexiko. In dem Jahr, als ich in Amerika war. Wir waren tief in den Dschungel eingedrungen. Wir stießen auf eine riesige Steintreppe, überwuchert von Wein, Pilzen, Jahrhunderten des Verfalls. Die anderen kletterten bis zur Spitze hinauf, ich aber konnte nicht. Es war das gleiche wie an dem Tag mit Thanatz im Kiefernwald. Ich fühlte, daß ein Schweigen dort oben auf mich wartete. Nicht auf die anderen, sondern allein auf mich ... mein eigenes persönliches Schweigen ..."
[3.18] Wütend fährt die 'Anubis' nordwärts
Auf der Brücke der Anubis schlägt der Sturm klatschend ans Glas, große, nasse Flossen fallen blindlings aus der Nacht wjatsch! die lebendige Gestalt gerade sichtbar auf der Regenbogenschneide des Klangs - es braucht eine bestimmte Kategorie von Wahnsinn, mindestens den eines polnischen Kavallerieoffiziers, um in dieser Pose hinter solch brüchig-dünner Trennwand auszuharren und jedem Schlag ohne Wimpernzucken ins offene Muskelspiel zu starren. Hinter Procalowski tanzt der Zeiger des Krängungsmessers mit dem Schlingern der Anubis über die Skala: ein Pendel wie aus einem Traum. Sturmlicht hat die Falten in Procalowskis Gesicht schwarz gefärbt, schwarz wie seine Augen, schwarz wie die Mütze, die so schmissig und salzig-schief in die Falten auf seiner Stirn gezogen ist. Licht sammelt sich, leuchtend und tief, auf den Armaturen des Funkgeräts... fächert sich weich von der Scheibe des Peilaufsatzes... spritzt durch Bullaugen hinaus auf den weißen Strom. Unerklärlich, dauert dieser Nachmittag schon länger, als er sollte. Seit zu vielen Stunden geht das Tageslicht zurück. Elmsfeuer haben begonnen, im Tauwerk der Masten aufzuflackern. Der Sturm rupft an Seilen und Kabeln, die wolkige Nacht wird weiß und laut, zuckt in heftigen Spasmen. Procalowski raucht eine Zigarre und studiert die Seekarte vom Oderhaff.
All dieses Licht! Beobachten es die russischen Wachtposten am Ufer? Lauern sie im Regen? Wird dieser Arm der Durchfahrt, X um pflichtbewußtes X, mit Fettstift auf ein Stück russischer Klarsichtfolie markiert, in Räumen, deren deutsche Fenster, an welchen man nicht zu stehen braucht, von weißen Spinnweben überwuchert werden, wo Phosphorgräser über die A-Schirme flimmern und das Spiel, das du durch das Handrad in den unsichtbaren Zähnen spürst, den Unterschied ausmacht zwischen
Fehlschuß und Treffer ... Wjatscheslaw - ist dieser Lichtpunkt, den du siehst, denn überhaupt ein Schiff? Es gibt in diesen Tagen endlose Täuschung in der Zone - es gibt stehende Wellen im Wasser, große, ferngelenkte Vögel, die so wohlbekannt sind, daß die Operateure ihnen Spitznamen gegeben haben, unberechenbare Freiballons, Strandgut von anderen Bühnen des Krieges (brasilianische Ölfässer, Whiskykisten, gestempelt nach Fort Lamy), Beobachter von fremden Galaxien, Episoden aus Rauch, Augenblicke von hoher Albedo - an deine wahren Ziele ist nur schwer heranzukommen. Zuviel Verwirrung
herrscht hier für die meisten der Aushelfer und spät Rekrutierten. Nur alte Hasen wissen noch zu sieben, die im Lauf der Wachen ihrer Dienstzeit, zappelndem Elektrogrün, das einmal lebenslang erscheinen mußte, zu verstehen gelernt haben, was Verteilung heißt... die sich die Gabe visueller Gnade erworben haben. Wie wahrscheinlich ist die Anubis heute nacht in dieser Mündung? Ihr Fahrplan ist durcheinandergeraten, elegant und unvermeidlich: schon vor Wochen hätte sie Swinemünde passiert haben sollen, doch die Sowjets hatten die Weichsel für das weiße Schiff gesperrt. Sogar russische Wachtposten waren an Bord, jedenfalls so lange, bis es den anubischen Damen gelungen war, sie vom Einholen aller Leinen abzulenken. Und seitdem ist diese letzte, lange Reprise polnischer Heimat auf ihrem Weg durch die Wasser-Weiden des Nordens, verfolgt von
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