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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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kommen Rathbone und Sakall zu dem Schluß, daß die einzige Möglichkeit der Klärung dieser Frage in dem Versuch besteht, den Liliputaner zu töten, der ihre Absicht jedoch errät und schreiend die Straße hinunter davonläuft. Sakall kriegt einen solchen Lachkrampf, daß er aus dem Sattel und in eine Pferdetränke fällt, und wir erleben eine abschließende Großaufnahme, in der Rathbone sein mehrdeutiges Lächeln lächelt. Der Song fährt hoch:
    Fühlst du dich wunderbar und fein, Verwandelt sie dich in ein Schwein, Findest du je Geschmack an Dopers Gier!"
    Es folgt noch ein kurzer Epilog, in dem Osbie zu erklären versucht, daß das Element der Gier natürlich auch noch irgendwie in die Handlung eingebracht werden müsse, um den Titel zu rechtfertigen, doch mitten in einem "äh..." ist die Filmrolle zu Ende. Katje befindet sich mittlerweile in einem Zustand der Verwirrung - doch eine Botschaft weiß sie zu erkennen, wenn sie eine sieht. Irgend jemand, irgendein heimlicher Verbündeter bei der "Weißen Visitation" - vielleicht Silvernail selbst, dessen Loyalität gegenüber Pointsman und Konsorten nicht gerade fanatisch gewesen ist - hat Osbies Probeaufnahme hier mit Absicht so versteckt, daß sie sie finden mußte. Sie spult den Film zurück und läßt ihn noch einmal durchlaufen. Osbie blickt geradewegs in die Kamera: ihr genau ins Gesicht, und da ist nichts mehr von der Flachserei eines Kiffers, nein, er spielt eine Rolle. Jeder Irrtum ist ausgeschlossen. Das ist eine Botschaft, chiffriert in einem Code, den sie nach nicht allzu langer Zeit wie folgt entschlüsselt: Nehmen wir an, Basil Rathbone steht für den jungen Osbie selber. S. Z. Sakall könnte Mr. Pointsman sein, und der Liliputanershe-riff bedeutet das geheimnisvolle, riesenhafte Komplott, verpackt in einem kleinen Päckchen, reduziert zu einem klaren Ziel. Pointsman hält es für real, doch Osbie weiß es besser. Pointsman endet im abgestandenen Wasser der Tränke, und die Verschwörung/ der Zwerg verschwindet verängstigt im Staub. Eine Prophezeiung. Ein freundlicher Wink mit dem Zaunpfahl. Sie geht zurück zu ihrer offenen Zelle, packt ein paar Habseligkeiten in eine Tasche und wandert aus der "Weißen Visitation" aus, vorbei an den lange nicht beschnittenen Zierhecken, die in die Realität zurückwachsen, vorbei an den freundlich in der Sonne sitzenden Irren, die der Frieden wiedergebracht hat. Bei Scheveningen ist sie einmal zu den Dünen hinausgewandert, vorbei am Wasserwerk, vorbei an neuen Wohnblöcken, die die abgerissenen Slums ersetzen sollten, der Beton noch feucht in der Verschalung, und hat die gleiche Hoffnung des Entkommens in ihrer Brust verspürt: ein dünnhäutiger Schatten - so lange ist das her - auf dem Weg zur Windmühle, die man "Der Engel" nannte, zum Treffen mit Pirat Prentice. Wo ist er jetzt, der Pirat? Wohnt er immer noch in Chelsea? Ist er überhaupt noch am Leben?
    Osbie jedenfalls ist zu Hause, kaut Gewürze, raucht Reefers und schießt sich Kokain. Es sind die letzten Reste aus seinem Kriegsvorrat: eine einzige, grandiose Eruption. Seit drei Tagen macht er schon durch. Er strahlt Katje an, ein Sonnenausbruch in Primärfarben aus seinem Kopf, winkt mit der Nadel, die er sich soeben aus der Vene gezogen hat, umklammert mit seinen Zähnen eine Pfeife, die so groß ist wie ein Saxophon, und setzt sich eine Fallenstellermütze auf, die seine Aureole in keiner Weise beeinträchtigt.
    "Sherlock Holmes. Basil Rathbone. Ich hatte recht", außer Atem läßt sie ihre Tasche mit einem Plumps fallen.
    Die Aura pulsiert, macht eine bescheidene Verbeugung. Er ist auch Stahl, er ist Rohleder und Schweiß. "Gut, gut. Der Sohn von Frankenstein hat auch mit dringesteckt. Ich wünschte, wir hätten deutlicher werden können, aber-" "Wo ist Prentice?"
    "Unterwegs, Logistik auskundschaften." Er führt sie in ein Hinterzimmer, das ausgestattet ist mit Telephonen, einer Korkwand voller angepinnter Notizen, Schreibtischen, die übersät sind mit Landkarten, Fahrplänen, Konzerngeschichten, einer Einführung in das moderne Herero, Spulen mit Magnetdraht. "Wir sind noch nicht so richtig organisiert hier, aber das wird schon, Liebling, das wird!" Ist das, was sie glaubt, daß es ist? Woraus sie, wie oft schon, erwacht ist, um es von sich zu schieben, weil Hoffen allein, so sehr zu hoffen, nichts bringt? Dialektisch gesehen, mußte es so weit kommen, früher oder später, mußte sich eine Gegenmacht formieren ... Sie war wohl nicht politisch genug

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