Die Enden der Parabel
innen. Sein neues Ich macht Fortschritte. Aber noch ist es ein Durchgangsstadium, in das sie so leicht eingreifen können wie bei jedem ihrer Klienten. Ohne selbst damit zu rechnen, hat Pirat zu weinen begonnen. Seltsam. Noch nie hat er in aller Öffentlichkeit derart geweint. Aber er versteht jetzt, wo er ist. Es wird schließlich doch möglich sein, irgendwo in Vergessenheit zu sterben, ohne auch nur einem einzigen Menschen geholfen zu haben: ohne Liebe, verachtet, ohne je Vertrauen besessen zu haben, niemals verteidigt - unten im Kreis der Übergangenen zu bleiben, verlustig seiner armseligen Ehre, nicht mehr aufzuspüren oder zu erretten.
Er weint um Menschen, Orte, Dinge, die er zurückgelassen hat: um Scorpia Mossmoon, die in St. John's Wood lebt, zwischen Notenblättern, neuen Kochrezepten, einer kleinen Wei-maranerzucht, für deren rassische Reinheit sie die extravagantesten Anstrengungen auf sich nimmt, und einem Ehemann Clive, der ab und zu einmal vorbeischaut, Scorpia, nur wenige Minuten U-Bahn-Fahrt von ihm entfernt und doch für immer verloren, ohne Hoffnung, daß einer von ihnen umzukehren vermöchte... um Menschen, die er im Auftrag der Firma betrügen mußte, Engländer und Fremde, um Ion, der so naiv war, um Gongyla-kis, um das Affenmädchen und die Zuhälter von Rom, um Bruce, der verbrannte... um Nächte oben in den Partisanenbergen, wo er eins war mit dem Duft lebender Bäume, voller Liebe für die endlich offenbare Schönheit der Nacht... um ein Mädchen aus den Midlands namens Virginia und ihr gemeinsames Kind, das nie zur Welt gekommen ist... um seine tote Mutter und seinen sterbenden Vater, um die Unschuldigen und die Narren, die ihm dennoch trauen werden, arme Gesichter, verdammt wie die Hunde, die uns so treuherzige Blicke zugeworfen haben durch die Drahtzäune der städtischen Zwinger ... er weint um die Zukunft, die er sehen kann, denn sie läßt ihn Verzweiflung und Kälte verspüren. Er wird von einem hehren Augenblick zum nächsten geschleift werden, den Treffen der Erwählten beiwohnen, Zeuge eines Tests der neuen Kosmischen Bombe sein -"Nun", ein weises, altes Gesicht, das ihm die Brille mit den dunklen Gläsern reicht, "da haben Sie Ihre Bombe ...", worauf er sich umdreht und über dem Strand, über Meilen von pazifischer Dünung, ihr fettes, gelbes Explodieren sieht -, er wird berühmte Mörder berühren, ja, buchstäblich, ihre menschlichen Hände und Gesichter berühren ... und eines Tages begreifen, vor wie langer Zeit schon, zu welchem frühen Zeitpunkt des Spiels, der Vertrag über sein Leben vergeben worden ist. Keiner weiß genau, wann der Treffer kommen wird -jeden Morgen, ehe die Märkte öffnen, noch ehe die Milchmänner unterwegs sind, setzen sie das neue Datum fest und entscheiden, was bis zu jenem Tag genügen soll. Jeden Morgen findet sich Pirats Name auf einer Liste, und eines Morgens wird er ausreichend weit oben stehen. Er versucht, sich die Liste anzusehen, obwohl ihr Anblick ihn mit einem so kalten, so reinen Grauen erfüllt, daß er eine Minute lang glaubt, er müsse in Ohnmacht fallen. Später, nachdem er sich ein Stück zurückgezogen, Mut für den nächsten Einsatz gesammelt hat, scheint es ihm, als habe er die Phase der Scham überwunden, genau wie Sir Stephen es gesagt hat, ja, er schämt sich nicht mehr, er empfindet Furcht, er sorgt sich um nichts anderes mehr als seinen eigenen Hals, seinen kostbaren, verfluchten, persönlichen Hals ... "Gibt es Platz hier für die Toten?" Er hört die Frage, bevor er noch sieht, daß sie sie stellt. Er kann nicht sagen, wie sie in dieses Zimmer hereingekommen ist. Die anderen geben Impressionen männlicher Eifersucht zum besten, ein schroffes Frauen-an-Bord-bringen-Unglück voller Kälte und Rückzug. Plötzlich fühlt sich Pirat allein mit ihr und ihrer Frage. Er hält ihr den Karamellenklumpen hin, den er getragen hat, tolpatschig wie Porky Pig mit der tickenden Anarchistenbombe kommt er sich vor dabei. Aber Süße ist hier nicht das Thema. Sie haben sich getroffen, um einiges an Schmerz und ein paar Wahrheiten auszutauschen, aber alles im verwirrten Stil der Epoche:
"Nur ruhig", in was für idiotischen Schwierigkeiten glaubt sie sich denn jetzt zu befinden? "Du bist nicht tot. Nicht mal im übertragenen Sinn, würde ich wetten." "Ich meinte, würde man es mir gestatten, meine Toten mitzubringen?" erklärte Katje. "Sie sind schließlich meine Referenzen. "
"Ich mochte diesen Frans van der Groov eigentlich recht
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