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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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rosahäutige Töchter in Öl und weißen Kleidchen, blutende Heiligenbilder, lachs- und purpurfarbene Sonnenuntergänge am Meer, Pakete, vollgestopft mit perlenäugigen Boas, mit Puppen, die aus heftig roten Lippen lächeln, Zinnsoldaten, eineinviertel Zoll pro Mann, bemalt in Creme, Gold und Blau, ein paar Handvoll hundertjähriger Achatmurmeln, dereinst getränkt in Honig, dessen Süße längst zu Staub zerfallene Urgroßväterzungen kitzelte, und dann in Schwefelsäure, um den Zucker in Bändermustern, braun zu schwarz, in den Stein zu ätzen, todlosen Klavierübungen, gestanzt auf Vorsetzer-Rollen, schwarzbebändertem Unaussprechlichem, blumen-und rankenverziertem Tafelsilber, facettengeschliffenen Dekantiergefäßen aus Bleikristall, tulpenförmi-gen Jugendstilvasen, Perlenketten aus Bernstein ... so sind die Völkerscharen unterwegs, über offene Felder, humpelnd, gehend, schlurfend, getragen, sich schleppend, über die Schutthalde einer Ordnung, einer europäischen und bürgerlichen Ordnung, von der sie noch nicht wissen, daß sie zerstört ist für immer.
    Wenn Slothrop Zigaretten hat, ist er ein williges Opfer, wenn jemand was zu essen findet, wird es geteilt - manchmal gibt es einen Topf voll Wodka, wenn man in die Nähe einer Truppenkonzentration gerät: die Mistkübel der GIs können um alle möglichen nützlichen Rohstoffe erleichtert werden, Kartoffelschalen, Melonenrinden, Krümel von Süßigkeiten für den Zucker, es ist kaum zu sagen, was alles in die DP-Destillierkolben wandert, und was man schließlich trinkt, ist der Wegwerfbruchteil einer Besatzungsmacht. Slothrop driftet durch Dutzende solcher stillen, hungrigen, schlurfenden Völkerwanderungen, und jedesmal bebt er am ganzen Leibe von den Benzedrinschlägen, die die
    Gesichter austeilen - keins von ihnen kann er wirklich übersehen, ist das Problem, sie sind zu zwingend alle, stark wie die Gesichter einer Menge auf dem Rennplatz, jedes drängt Nein, mich - schau mich an, sei berührt, greif zu deiner Kamera, deiner Waffe, deinem Schwanz... Er hat alle Insignien von Tschitsche-rins Uniform abgerissen, um weniger sichtbar zu sein, doch kaum jemand scheint sich groß um Insignien zu scheren ...
    Die meiste Zeit jedoch ist er allein. Er stößt auf Bauernhöfe, die verlassen in der Nacht liegen, und verkriecht sich zum Schlafen im Heu oder, falls eine Matratze da ist (nicht oft), in einem Bett. Erwacht von einer Sonne, die ihn aus einem Teich anglitzert, der umgeben ist von Grün mit einem Thymian- und Senfblütenmuster, einem bunten Hügel, der aufsteigt zu Kiefern und Dunst. Spaliere mit Tomatenschößlingen und purpurner Fingerhut in den Höfen, hohe Vogelnester unter den Traufen der reet-gedeckten Dächer, Vogelchöre am Morgen und bald, an einem Tag, da sich der Sommer am Himmel schwerfällig wendet, der Ruf von ziehenden Kranichen.
    In einem Flußtal weit südlich von Rostock flieht er vor einem mittäglichen Schauer in ein Bauernhaus, schläft in einem Schaukelstuhl auf der Veranda ein und träumt von Tantivy Mucker-Maffick, seinem Freund aus alter Zeit. Er ist schließlich doch zurückgekehrt, wider die Wahrscheinlichkeiten. Es ist irgendwo draußen auf dem Land, in einer englischen Landschaft, gesteppt in dunklem Grün und erstaunlich leuchtendem Strohgelb, eine Region von altvertrauten Felsen auf hohen Hügeln, von frühzeitigen Verträgen um Tod und Zinsen, von Landmädchen, die nachts ausgehen, um sich nackt auf die Felszinnen zu stellen und zu singen. Angehörige aus Tantivys Familie und viele Freunde sind gekommen, alle in einer stillen Feierstimmung angesichts seiner Rückkehr. Jeder begreift, daß es nur ein Besuch ist: daß seine Anwesenheit "hier" nur eine bedingte sein wird. Zu einem bestimmten Zeitpunkt wird alles auseinanderbrechen, weil man zuviel darüber nachgedacht hat. Ein Stückchen Wiese ist gemäht zum Tanzen, die Dorfmusik ist aufmarschiert, viele Frauen sind ganz in Weiß. Nach einem Augenblick der Verwirrung über den Zeitplan des Tages findet das Treffen statt - es scheint in einem unterirdischen Raum zu sein, aber keine Grabkammer oder Krypta, nichts Unheimliches, wo die Verwandten und Freunde sich um Tantivy drängen, der so wirklich aussieht, so unberührt von der Zeit, so deutlich und voll Farbe ... "Na so was! Slothrop!" "Oh - wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt, altes Haus?"
    M M
    "<"Hier">?"
    "Ja, genau so, du hast's begriffen - ein- oder zweimal auch woanders auf die Art, aber immer war ich auf den

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