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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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gleichen Straßen wie du, hab die gleichen Neuigkeiten gelesen, war beschränkt auf das gleiche Farbenspektrum ..." "Dann hast du also nicht -"
    "Nein, ich habe nichts getan. Das hat sich geändert."
    Die Farben hier drinnen - der Verputz der Wände, die Blumen der Gäste, die fremdartigen Kelche auf den Tischen - haben einen Unterton von vergossenem und schwarz gewordenem Blut, von der allmählichen Verkohlung der leeren Räume in den Städten am Sonntagnachmittag um vier... die Konturen von Tanti-vys Anzug werden schärfer davon, ein Gigolo-Anzug ist es, genaugenommen, von unbeschreiblich fremdländischem Schnitt, sicherlich nichts, was er früher auch nur im Traum angezogen hätte...
    "Schätze, wir haben nicht viel Zeit ... Ich weiß, das klingt beschissen und ganz schön egoistisch, aber ich bin jetzt so allein, und ... ich hab gehört, daß man, in der ersten Zeit, nachdem's passiert ist, manchmal noch ein bißchen hier so rumhängt, noch ein bißchen auf einen Freund aufpaßt, der noch ist..."
    "Manchmal." Er lächelt: doch seine Ruhe und Distanz sind die Strecke eines machtlosen Schreis, größer als Slothrops Reichweite.
    "Paßt du auf mich auf?" "Nein, Slothrop. Nicht auf dich ..."
    Slothrop sitzt in dem alten, verwitterten Schaukelstuhl und blickt hinaus auf eine gewellte Hügelkette, auf die Sonne, die gerade zwischen den letzten Regenwolken hervorbricht und die nassen Felder und Heuschober in ein goldenes Licht taucht. Wer ging vorbei und sah ihn schlafen, das Gesicht weiß und angstvoll auf die Brust der verdreckten Uniform gesenkt?
    Weiterwandernd, empfindet er die Bauernhöfe zwar als gespenstisch, aber auf eine liebenswürdige Art. Ihre Eichenbalken ächzen in den Nächten, hölzern und verläßlich. Ungemolkene Kühe muhen schmerzerfüllt auf fernen Weiden, andere kommen auf die Höfe und berauschen sich an fermentiertem Silofutter, torkeln in Zäune und in die Heuschober hinein, in welchen Slothrop träumt, und brüllen ihm Muhs mit besoffenen Umlauten ins Ohr. Oben auf den Firsten klappern die schwarzweißen Störche mit langen, in den Himmel gebogenen Hälsen, die Köpfe auf den Kopf gestellt, den Blick zurückgewandt, die Schnäbel klappernd, zum Gruß, zur Liebe. Nachts kommen Hasen angehoppelt, um zu fressen, was immer es Gutes gibt auf den Höfen. Und die Bäume - Slothrop ist wach geworden, endlich hellwach für die Bäume. Wann immer er zwischen Bäume gerät, nimmt er sich die Zeit, sie zu berühren, zu betrachten, setzt sich still zu ihnen und begreift, daß jeder Baum ein Lebewesen ist, das ein individuelles Leben lebt, das wahrnimmt, was rundherum passiert - nicht nur ein toter Holzklotz für die Säge. Slothrops Familie hat tatsächlich ihr Geld gemacht, indem sie Bäume tötete, sie ihrer Wurzeln amputierte, sie in Stücke hackte, sie zu Pulpe zermahlte und diese zu Papier bleichte, um dafür mit anderem Papier bezahlt zu werden. "Das ist wirklich Irrsinn." Er schüttelt seinen Kopf. "Es gibt Irrsinn in meiner Familie." Er blickt empor. Die Bäume sind still. Sie wissen, daß er da ist. Sie wissen wahrscheinlich auch, was er gerade denkt. "Es tut mir leid", sagt er ihnen. "Ich kann nichts machen gegen diese Leute, sie sind außerhalb meiner Reichweite. Was kann ich denn tun?" Eine mittelgroße Föhre in seiner Nähe neigt ihren Wipfel und schlägt vor: "Wenn du das nächste Mal Holzfällern begegnest hier draußen, dann such dir einen Traktor, auf den keiner achtet, und nimm das Ölfilter heraus. Das kannst du tun."
    Unvollständige Liste von Wünschen an den Abendstern für diese Zeit: Mach, daß ich diesen Hühnerkäfig finde, von dem mir die alte Dame erzählt hat. Mach, daß Tantivy wirklich am Leben ist.
    Mach, daß der verdammte Pickel auf meinem Rücken verschwindet.
    Mach, daß ich nach Hollywood komme, wenn das alles vorbei ist, damit Rita
    Hayworth mich sehen und sich in mich verlieben kann.
    Mach, daß der Friede dieses Tages noch da ist, wenn ich morgen aufwache.
    Mach, daß meine Entlassungspapiere in Cuxhaven auf mich warten.
    Mach, daß es Bianca gutgeht, u-und -
    Mach, daß ich bald scheißen kann.
    Mach, daß das nur eine Sternschnuppe ist.
    Mach, daß diese Stiefel wenigstens bis Lübeck halten.
    Mach, daß dieser Ludwig seinen Lemming findet und glücklich ist und mich in Frieden läßt.
    Tja, Ludwig. Slothrop trifft ihn eines Morgens am Ufer eines blauen, namenlosen Sees, ein erstaunlich fetter Knabe von acht oder neun Jahren, der stier ins Wasser starrt,

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