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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Tschitscherin hat Närrisch. Es kostete ihn den Springer und drei Soldaten, die mit tiefen Bißwunden im Lazarett liegen. Einer mit einer durchgebissenen Arterie. Närrisch hat versucht, im Audie-Murphy-Stil zu türmen. Ein Springer für einen Läufer - unter Narkohypnose hat Närrisch vom Heiligen Kreis gefaselt und vom Kreuz der Steuerflossen. Aber die Schwarzen wissen nicht, was Närrisch sonst noch wußte:
    a) Es gab eine Funkverbindung vom Boden zum S-Gerät, aber nicht in Gegenrichtung.
    b) Es gab ein Interferenzproblem zwischen einem Servoschal-ter und einer zusätzlichen Sauerstoffleitung, die vom Haupttank ins Heck der Rakete verlegt worden war.
    c) Weißmann koordinierte nicht nur das S-Gerät-Projekt in
    Nordhausen, er war auch der Kommandant der Batterie, die das ooooo-Aggregat abfeuerte.
    Totale Spionage. Stück für Stück schließt sich das Mosaik zusammen. Tschitscherin, bürolos wie er ist, trägt es in seinem Kopf mit sich herum. Jedes Teilchen, jeder Fetzen hat seinen Ort. Kostbarer als Ravenna ist das, was sich hier aufzurichten beginnt gegen diesen stärkefarbenen Himmel...
    Funkverbindung + Sauerstoffleitung = Nachbrenner, oder irgend etwas von der Art. Wäre es normalerweise. Aber Närrisch hat auch von einer Asymmetrie gesprochen, einer Last im Heck auf der Seite von Ruder 3, die die Pendelungsdämpfung, die Kontrolle der Roll- und Scherbewegungen fast bis zur Unmöglichkeit komplizierte. Würde nun ein Nachbrenner an dieser Stelle nicht einen asymmetrischen Schub bedeuten? Und Wärmeflüsse, die die Stabilität der Konstruktion überfordern würden? Verflucht, verdammt, warum nur hat er keinen einzigen von den Triebwerksingenieuren aufgegriffen! Ob die Amerikaner sie alle haben? Major Marvy, das Bowiemesser zwischen den Zähnen, zwei Thompsons an jeder Hüfte, genauso verdattert auf dieser Lichtung wie der gesamte Rest des Rollkommandos, ist nicht zu Gesprächen aufgelegt. Statt dessen schmollt er und schüttet Wodka aus Dschabajews unergründlichem Menagekoffer in sich hinein. Aber wenn Triebwerksingenieure, die mit dem S-Gerät zu tun hatten, in Garmisch aufgetaucht wären, dann hätte Marvy ihn das wissen lassen. So lautet die Abmachung. Westliche Informationen, russische Abzugsfinger.
    Oh, er riecht Enzian... Selbst jetzt kann der Schwarze irgendwo im Dunkeln stecken und ihn beobachten. Tschitscherin zündet sich eine Zigarette an, ein grünblaulavendelfarbenes Flammen, das sich zu Gelb beruhigt... er läßt das Zündholz länger brennen, als nötig wäre, denkt sich: Laß ihn! Er wird's nicht tun. Ich würde es nicht tun. Hm... vielleicht doch ...
    Aber sie sind sich einen Quantensprung näher gerückt diese Nacht. Sie werden sich treffen. Es wird wegen des S-Geräts sein, ob es nun wirklich existiert oder nur in der Phantasie, ob es arbeitet oder Schrott ist - sie werden sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Und dann ...
    Vorerst aber: wer ist der mysteriöse sowjetische Abwehrmann, mit dem Marvy gesprochen hat? Gelegenheit zur Paranoia, Tschitscherin. Vielleicht hat Moskau Wind bekommen von deiner Privat-Vendetta. Falls sie Beweise fürs Kriegsgericht sammeln, wirst du nicht noch mal mit Zentralasien davonkommen. Dann wirst du letzter Sekretär der Botschaft in Atlantis. Dann kannst du über Drogenarreste für all die ersoffenen russischen Matrosen verhandeln und deinem eigenen Vater Visa fürs ferne Lemurien stempeln oder zum Sonnenurlaub im Sargasso-meer, wo die Gebeine auftreiben und bleichen und die vorbeifahrenden Schiffe verspotten. Und unmittelbar bevor er auf der Mittagsströmung abreist, die Prospekte zwischen die Rippen geklemmt, die Reiseschecks in die Augenhöhlen gestopft, kannst du ihm von seinem schwarzen Sohn erzählen - von dem Tag mit Enzian am schaudernden Rand des Herbstes, kalt wie die sterbliche Kälte der Orange unter dem zerstoßenen Eis auf der Hotelterrasse in Barcelona, si me quieres escribir, du kennst meine Adressen ... Kälte unter dem Nagel deines schälenden Daumens, endgültig gefrierende Kälte
    "Hör mal", Marvy ist mittlerweile ein wenig betrunken und verdrießlich, "wann kriegen wir denn nun diese Hosen-scheissa?" "Das wird noch, seien Sie unbesorgt."
    "Aberse ham ja keine Ahnung, welchn Druck ich aus Paris bekomme. Direkt vom Hauptquartier! Es ist phantastisch! Da gibt's Leute ganz oben, die wolln die Stänker ausradieren, und zwar jetz. Alles, was die machn müssen, is, auf 'n Knopf drük-ken, und ich seh in meim Lehn keine

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