Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
Vom Netzwerk:
Pfefferminzstangen, deren Weiß Tausende von Metern in die Nacht reicht. Was mag mit den Menschen sein, die in diesen leeren Häusern schlafen könnten, den Menschen, die davongeweht worden sind, manche schon für immer... träumen sie von Städten, die im Glanz von tausend Lichtern hinausscheinen in die Nacht? von einem Weihnachtsfest, das sie wieder als Kind erleben, und nicht mehr wie eine Herde Schafe, die so verwundbar sich um ihren nackten Hügel drängt, so fahl gebleicht im schrecklichen Licht des Sterns? von Liedern, die so fröhlich sind, so schön, so wahr, daß man sie beim Erwachen schon vergessen hat... träumen sie vom Frieden?
    "Wie war das eigentlich? Damals, vor dem Krieg?" Sie weiß, daß sie schon auf der Welt war, ein Kind, aber sie meint etwas anderes. Vom Home Service der BBC die
    Frank-Bridge-Variationen, verrauscht und knisternd, eine Haarbürste übers gewundene Hirn, im Küchenfenster eine Flasche Montrachet, Pirats Geschenk, zum Kühlen hingestellt.
    "Ach, weißt du, Girlie", macht die gebrochene Greisenstimme, während eine gichtige Hand nach ihrer Brust tattert, um sie aufs lüsternste zu betatschen, "das hängt ganz davon ab, welchen Krieg du meinst", und schon kommt es aus seinem Mundwinkel gesabbert, urggh, in einem silbernen Faden über die Unterlippe herab, ach er ist so clever, er hat sie alle drauf, diese ekligen, kleinen "Sei nicht albern, Roger, nein, im Ernst! Ich kann mich wirklich nicht erinnern." Sie beobachtet die kleinen Grübchen, die neben seinem Mund entstehen, während er dies bedenkt, merkwürdig lächelnd. So wird es sein, wenn ich dreißig bin... Gedankenblitz: Kinder, ein Garten, ein Fenster, Stimmen Mami darf ich ... Gurken und braune Zwiebeln auf einem Hackbrett, Blüten von wilden Karotten, blitzend in leuchtendem Gelb, eine tiefgrüne, satte Rasenfläche und seine Stimme "Ich kann mich nur an eins erinnern - daß es idiotisch war, geradezu überwältigend blöde. Es ist einfach nie etwas passiert. O ja, stimmt, Edward VIII. hat abgedankt, er hatte sich verliebt in eine-" "Weiß ich, Illustrierte kann ich lesen. Aber wie war es wirklich, damals?" "Na ... halt einfach blöde. Wir haben uns über Sachen aufgeregt, die überhaupt nicht-Jess, kannst du dich tatsächlich nicht erinnern?"
    Gesellschaftsspiele, Kinderschürzchen, kleine Freundinnen, ein verlaufenes schwarzes Kätzchen mit kleinen weißen Pfoten, Sommerfrische mit der Familie am Meer, Salzgeruch, gebratener Fisch, pfirsichfarbener Taffet, ein Junge namens Robin ...
    "Nichts, was wirklich verloren wäre, was ich nicht wiederfinden könnte." "Oh. Dagegen meine Erinnerungen -" "Ja?" Jetzt lächeln sie beide.
    "Wir haben ganze Wagenladungen von Aspirin geschluckt. Wir haben die meiste Zeit gesoffen oder waren blau. Wir haben uns Sorgen gemacht, ob unser Straßenanzug auch richtig sitzt. Wir haben die Oberschicht verachtet und verzweifelt versucht, uns genauso zu benehmen wie sie..."
    "Und wir haben ätsch, ätsch, ätsch gerufen -" Jessica prustet los, als er nach dem
    Punkt an ihrer pullovrigen Flanke greift, wo sie so furchtbar kitzlig ist. Sie krümmt und
    windet sich zur Seite, er sinkt gegen die Sofalehne, fängt sich aber gekonnt, und nun
    ist sie überall kitzlig, wo er sie packt, am Knöchel, am Ellbogen
    Aber eine Rakete hat plötzlich eingeschlagen. Eine schreckliche Detonation, ganz
    dicht beim Dorf: das Gefüge der Luft, der Zeit ist verwandelt - der Fensterflügel nach
    innen gedrückt, wo er mit hölzernem Quietschen zurückprallt, um erneut gegen die
    Wand zu schlagen, während das ganze Haus noch immer bebt.
    Ihre Herzen hämmern. Die Trommelfelle, vom Luftdruck zum Zerreißen gespannt,
    klingeln schmerzhaft. Der unsichtbare Zug donnert über den Dachfirst davon ...
    Sie sitzen jetzt genauso starr wie die gemalten Hunde, schweigend, seltsam unfähig,
    einander zu berühren. Der Tod steht in der Küchentür und beobachtet sie, eisern und
    geduldig, mit einem Blick, der sagt: Versucht mal, mich zu kitzeln.

[1.10] KENOSHA KID, EINE TOILETTE UND SOLIPSISMUS

    (I) TDY Abreaktionsstation, Spital zur Hl. Veronika, Bonechapel Gate, E I London, England Winter 1944 An den Kenosha Kid,
    Hauptpostlagernd, Kenosha, Wisconsin, U.S.A.
    Geehrter Herr!
    Habe ich Sie je im Leben, auch nur ein einziges Mal, belästigt?
    Hochachtungsvoll,
    Lt. Tyrone Slothrop
    Postlagernd, Kenosha,Wisc. ,U.S.A.
    einige Tage später
    Tyrone Slothrop, Esq. TDY Abreaktionsstation, Spital zur Hl. Veronika, Bonechapel Gate, E I

Weitere Kostenlose Bücher