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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Sie wird nicht benutzt werden. Da gibt es Umsteigen und Abfahrt: aber auch Hilfe von den Fremden des Tages, wenn sie es am wenigsten erwartet, und versteckt, irgendwo zwischen den Zufälligkeiten dieser driftenden Demut, niemals ganz auszulöschen, ein paar schmale Hoffnungen auf Gnade ...
    Im Oberstock erklärt ein Herr Möllner, den Koffer gefüllt mit den Schätzen dieser Nacht - einer amerikanischen Majorsuniform mit Papieren sowie zweieinhalb Unzen Kokain -, dem behaarten amerikanischen Matrosen, daß Herr von Göll sehr beschäftigt sei, im Augenblick auf Geschäftsreise im Norden, soviel er wisse, und daß er ihm keinerlei Papiere nach Cuxhaven mitgegeben habe, nein, keine Entlassungsscheine, keine Pässe -nichts. Vielleicht irrt sich der Freund des Seemanns? Oder es handelt sich um eine kurzfristige Verzögerung? Man muß schließlich einsehen, daß eine gute Fälschung ihre Zeit braucht. Bodine sieht ihn gehen und ahnt nicht, was er in seinem Koffer hat. Albert Krypton hat sich bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lassen. Shirley kommt anmarschiert, glanzäugig und rastlos, bekleidet mit schwarzen Strapsen und Strümpfen. "Hmm", macht sie, mit einem gewissen Blick. "Hmm", macht Seaman Bodine.
    "Und überhaupt, es waren nur zehn Cents, in den Ardennen." [3.32] Wir werden alle scheitern, aber nicht die Operation
    Also: hat er die Spur von Weißmanns Batterie von Holland aus über salzige Marschen, Lupinenfelder, Kuhskelette bis hierher verfolgt, um das zu finden. Ein Glück, daß er nicht abergläubisch ist. Er würde es als Prophezeiung sehen. Natürlich gibt es auch eine vollkommen rationale Erklärung, aber Tschitscherin hat Martin Fierro nie gelesen.
    Er beobachtet von seinem provisorischen Kommandoposten in einem Holundergebüsch auf einem flachen Hügel aus. Im Feldstecher sieht er zwei Männer, einer weiß, einer schwarz, die Gitarren umgehängt haben. Dorfbewohner sind in einem weiten Kreis versammelt, doch die kann er aussparen, so daß in seinem elliptischen Gesichtsfeld eine Szene übrigbleibt, die dem gleichen Muster folgt wie der männlich/weibliche Gesangswettstreit inmitten eines flachen Graslands in Zentralasien vor mehr als einem Jahrzehnt - ein Aufeinanderprallen von Gegensätzen, das ihm damals seine eigene Annäherung an das Kirgisische Licht signalisiert hat. Was signalisiert es ihm jetzt?
    Über seinem Kopf ist der Himmel gestreift und hart wie Marmor. Er weiß Bescheid. Hier in der Nähe hat Weißmann das S-Gerät eingebaut und die 00000 abgefeuert. Enzian kann nicht weit zurück sein. Hier also. Aber er muß warten. Früher wäre das unerträglich gewesen.
    Aber seit Major Marvy von der Bildfläche verschwunden ist, ist Tschitscherin etwas vorsichtiger geworden. Marvy war eine Schlüsselfigur. Es existiert eine Gegenmacht in der Zone. Wer war der sowjetische Abwehrmann, der kurz vor diesem Reinfall auf der Lichtung auftauchte? Wer hat das Schwarzkommando vor dem Angriff gewarnt? Wer hat sich Marvy vom Hals geschafft?
    Er hat sich alle Mühe gegeben, nicht zu sehr an das Raketen-Kartell zu glauben. Seit seiner Erleuchtung in jener Nacht, zwischen einem besoffenen Marvy und einem Bloody Chiclitz, der die Tugenden Herbert Hoovers deklamierte, hat Tschitscherin nach Beweisen Ausschau gehalten. Gerhardt von Göll mit seinem korporativen Oktopus, der seine Arme auch noch nach dem letzten umsetzbaren Krümel in der gesamten Zone ausstreckt, hat bestimmt damit zu tun, vielleicht auch ohne es zu wissen. Vorige Woche war Tschitscherin schon dicht daran, nach Moskau zurückzufliegen. Er hatte in Berlin kurz mit Mrawenko gesprochen, einem der WIAM-Leute. Sie trafen sich im Tiergarten, zwei Offiziere auf einem harmlosen Spaziergang in der Sonne. Arbeitskommandos schaufelten Schutt in die Löcher des Straßenpflasters und klopften ihn mit ihren Schaufeln glatt. Radfahrer kettelten vorbei, funktionell skelettiert wie ihre fahrbaren Untersätze. Kleine Gruppen von Zivilisten und Militärs steckten unter den Bäumen im Hintergrund ihre Köpfe zusammen, auf umgestürzten Bäumen und Lkw-Rädern sitzend, Taschen und Koffer durchwühlend, schwarzhandelnd. "Du bist in Schwierigkeiten", sagte Mrawenko. Er war ebenfalls, in den dreißiger Jahren, strafversetzt gewesen und berühmt als der manischste, systemloseste Schachspieler von ganz Zentralasien - geschmacklos genug, sich selbst in Blindschach zu versuchen, was russischem Feingefühl für unaussprechlich vulgär gilt. Bei jeder neuen Partie setzte sich

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