Die Enden der Parabel
ihm gestatten.
"Um des Mitleids willen", stöhnt der Fahrer. "Kannst du ihm nicht das Maul stopfen, Spontoon?"
Spontoon hat schon die Schweinemaske weggerissen und ersetzt sie jetzt durch eine aus Gaze, die er mit einer Hand festhält, während die andere Äther drauftropft -wann immer der hin und her zuckende Kopf in Reichweite kommt. "Pointsman kann nicht ganz bei Trost sein", fühlt er sich veranlaßt, seine Verwirrung zu erklären, "wenn er das hier einen unerschütterlichen Phlegmatiker" nennt." "Schon gut, wir sind am Strand. Kein Mensch weit und breit." Muffage fährt bis unmittelbar ans Wasser, der Sand ist gerade tragfähig genug, um die Räder nicht einsinken zu lassen, alles ist sehr weiß unter dem kleinen Mond, der im Zenit steht... vollkommenes Eis...
"Oh", stöhnt Marvy. "Oh, Scheiße. O nein. Oh, Jesus", ein langgezogenes, benommenes Diminuendo, während die Zuk-kungen gegen die Fesseln erlahmen und Muffage den Wagen zum Stehen bringt, ein olivgraues Stück Treibgut, winzig auf dem weiten Sand, dem glitzernden Watt, das sich mondwärts hinausstreckt, bis an die Schwelle des Nordwinds.
"Die Zeit kommt gut hin", Muffage blickt auf die Uhr, "wir erwischen die C-47 um eins. Sie haben gesagt, daß sie sogar noch etwas warten könnten." Ein Seufzer der Erleichterung, bevor es an die Arbeit geht.
"Verbindungen hat dieser Mann", Spontoon schüttelt den Kopf, nimmt die Instrumente aus der Desinfektionslösung und legt sie auf ein steriles Tuch neben der Bahre. "Meine Güte. Wir wollen nur hoffen, daß er sich niemals dem Verbrechen zuwendet, was?"
"Scheiße", grunzt Major Marvy leise, "oh, fick mich, ja?"
Beide Männer haben sich die Hände geschrubbt und Masken und Gummihandschuhe übergezogen. Muffage hat eine Dek-kenlampe eingeschaltet, die von oben herunterstarrt, ein sanftes, leuchtendes Auge. Die beiden arbeiten rasch und schweigend, zwei an der Heimatfront erprobte Routiniers, die schon unter schlechteren Bedingungen operiert haben, und der Patient läßt nur hin und wieder ein leises Wort in die Stille tropfen, ein weißes, pathetisches Grapschen in seiner Ätherdunkelheit nach dem fliehenden Punkt aus Licht, der ihm allein von sich geblieben ist.
Es ist ein simpler Eingriff. Das Samtkostüm wird im Schritt aufgeschnitten. Muffage beschließt, auf das Rasieren des Skro-tums zu verzichten. Er tupft es mit Jod ab, dann preßt er jeweils einen der beiden Hoden gegen den rotgeäderten, haarigen Sack, macht rasch und sauber den Einschnitt durch Haut und darunterliegendes Bindegewebe, drückt den Testikel durch die Wunde und das quellende Blut nach außen und zieht ihn mit der linken Hand so weit heraus, daß sich die harten, weich umhüllten Samenleiter unter dem Licht straff spannen. Als wären es die Saiten eines Musikinstruments, auf welchen er, ein frivoler Mondsüchtiger, hier auf dem leeren Strand eine passende Musik aufspielen könnte - seine Hand stockt, doch dann, widerwillig der Pflicht sich beugend, trennt er sie in der gebührenden Entfernung vom glitschigen Ei durch, desinfiziert Schnittstellen und Wundränder und näht die beiden sauberen, nebeneinanderliegenden Schlitze schließlich wieder zu. Die Hoden plumpsen in eine Flasche mit Alkohol.
"Souvenirs für Pointsman", seufzt Muffage, die Operationshandschuhe abstreifend. "Gib ihm noch eine Spritze. Es wird am besten sein, wenn er durchschläft und irgend jemand in London ihm alles erklärt."
Muffage läßt den Motor an, stößt in einem Halbkreis zurück und kriecht langsam wieder zur Straße empor, während das weite Meer unbewegt hinter ihnen zurückbleibt.
Zur selben Zeit bei Putzi kuschelt sich Slothrop in einem breiten, frisch bezogenen Bett neben Solange zusammen, schläft ein und träumt von Zwölfkinder und einer lächelnden Bianca, die mit ihm zusammen Riesenrad fährt, bis die Kabine zu einem Zimmer wird, das er noch nie gesehen hat, ein Zimmer in einem riesigen Wohnblock, der selbst so groß ist wie eine ganze Stadt, dessen Korridore mit Autos oder Fahrrädern befahren werden können wie Straßen: gesäumt von Bäumen, in welchen Vögel singen.
Und "Solange", seltsam genug, träumt gleichfalls von Bianca, wenn auch unter einem anderen Aspekt: es geht um ihre eigene Tochter, Ilse, die auf einem langen Güterzug, der nie zur Ruhe zu kommen scheint, durch die Zone irrt. Sie ist nicht unglücklich, auch nicht wirklich auf der Suche nach ihrem Vater. Aber Lenis alter Traum, den sie für sie gehegt hat, geht in Erfüllung.
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