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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Mitte gescheitelt und aus der Stirn zurückgekämmt, sitzt in einem langen schwarzen Reitkleid und schwarzen Stiefeln vor einem Kartenspiel, gibt sich selbst Flushes, Full Houses, vier von einer Farbe aus, nur zu ihrem eigenen Vergnügen. Die Statisten haben so gut wie nichts mitgebracht, um das man spielen könnte. Sie wußte, daß es einmal soweit kommen würde: sie hatte sich einmal überlegt, daß Geld, wenn man es nur als Spieleinsatz verwendete, seine Realität verlieren müßte. Einfach verwelken. Ist das passiert, oder spielt sie sich nun selbst etwas vor? Es scheint, daß Belaustegui sie aufmerksamer beobachtet, seit sie hier sind. Sie will sein Projekt nicht gefährden. Sie hat ein paarmal mit dem ernsten Ingenieur geschlafen (obwohl sie früher, noch in B.A., jeden Eid geschworen hätte, daß sie ihn nicht mal mit einem silbernen Strohhalm trinken könnte), und sie weiß, daß auch er ein Spieler ist. Ein gutes Paar, Stirn zu Stirn miteinander verdrahtet: sie spürte es sofort, als er sie zum erstenmal berührte. Der Mann kennt seine Chancen, die Kurven des Risikos sind ihm vertraut wie geliebte Körper. Jeder Augenblick hat seinen bestimmten Wert, seinen möglichen Erfolg gegenüber anderen Augenblik-ken in anderen Partien, und das Mischen bedeutet für ihn nicht mehr als nur die nächste Runde. Er kann sich's nicht leisten, an andere Permutationen und Was-wäre-wenns zu denken. Nur das Gegenwärtige zählt, das ihm ausgeteilt worden ist von etwas, das er Zufall nennt und Graciela Gott. Er wird alles aufs Spiel setzen für dieses anarchistische Experiment, und wenn er verliert, wird er zu etwas anderem übergehen. Aber er wird sich nicht zurückhalten. Darüber ist sie froh. Er ist eine Quelle der Stärke. Sie weiß nicht, wie stark sie sein könnte, wenn der Augenblick käme. Oft, bei Nacht, geschieht es ihr, daß sie durch eine dünne Haut aus Alkohol und Optimismus bricht und sieht, wie sehr sie die anderen tatsächlich braucht, von wie geringem Nutzen sie ohne ihre Unterstützung wäre.
    Die Kulissen für den zukünftigen Film helfen ein wenig. Jedes der Gebäude ist echt, keine einzige Fassade nur Dekoration. In der boliche gibt es richtigen Alkohol, in der pulperia richtiges Essen. Die Pferche sind so real wie die Schafe, Rinder und Pferde darin. Die Hütten sind wetterfest und werden bewohnt. Wenn von Göll geht - falls er überhaupt kommt -, wird nichts demontiert werden. Jeder Statist, der bleiben möchte, ist willkommen. Viele sind nur hier, um sich eine Zeitlang auszuruhen, vor neuen DP-Zügen, neuen Phantasien von ihrem Zuhause vor der Zerstörung, neuen Träumen von irgendeinem Ziel. Sie werden weiterziehen. Aber werden andere kommen? Und was wird die Militärregierung von einer Gemeinschaft wie dieser halten, mitten in ihrem Garnisonsstaat?
    Es ist nicht das seltsamste Dorf in der Zone. Squalidozzi hat von seinen Wanderungen Berichte über palästinische Einheiten mitgebracht, die von Italien hier heraufgewandert sind und sich weiter östlich niedergelassen haben, um chassidische Gemeinden nach dem Muster von vor anderthalb Jahrhunderten aufzubauen. Es gibt einstige Handelsstädte, die sich unter die silbrige Herrschaft Merkurs gestellt und als einzigem Gewerbe der Postzustellung verschrieben haben, nach dem Osten und zurück, in den sowjetischen Sektor und wieder raus, hundert Mark pro Brief. Ein Dorf im Mecklenburgischen ist von Armeehunden genommen worden, Dobermanns und Schäfern, jeder von ihnen abgerichtet, jedem menschlichen Wesen mit Ausnahme des Trainers, der ihn ausgebildet hat, an die Gurgel zu springen und diese durchzubeißen. Doch die Trainer sind im Krieg gefallen oder vermißt. Die Hunde haben rudelweise Raubzüge unternommen, haben Kühe auf den Feldern gerissen und die Kadaver kilometerweit in das Dorf zu den Genossen geschleppt, sind im Rin-Tin-Tin-Stil in Lebensmittellager eingebrochen und haben K-Rationen, tiefgefrorenes Hackfleisch, Kanons mit Süßigkeiten geplündert. Die Zufahrtsstraßen zur Hundestadt sind übersät von den Leichen ehrgeiziger Soziologen und unschuldiger Bürger aus den Nachbarorten. Niemand kann sich dem Dorf nähern. Ein Einsatzkommando, bewaffnet mit Gewehren und Handgranaten, ist in Marsch gesetzt worden, doch die Hunde verschwanden unsichtbar wie Wölfe in der Nacht, und keiner der Männer brachte es übers Herz, die Häuser und Geschäfte zu zerstören. Im Dorf bleiben und es besetzen wollte allerdings auch keiner. So zogen sie wieder ab, und

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