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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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besteht der grazile Knight auf dem Namen Angelique, und es scheint keine andere Möglichkeit zu geben, seine Aufmerksamkeit zu erringen. "Wenn dieser Karren in den Graben fährt, dann erleben wir eine nationale Krise. Ich habe schon genügend Scharfmacher am Hals, die Tag und Nacht mein Telefon belagern und meinen Postkasten vollstopfen -" "Mmmh, ich würde dir auch gern deinen Popschkasten vollstopfen, Clivey -" "- und vom 1922er Komitee kommen sie mir zu allen Fenstern rein. Bracken und Beaverbrook machen weiter, verstehen Sie, es ist nicht so, als ob sie durch die Wahlen plötzlich arbeitslos geworden wären oder dergleichen -" "Mein lieber Junge", er lächelt engelhaft, "es wird überhaupt keine Krise geben. Labour will genau wie wir, daß der Amerikaner gefunden wird. Wir haben ihn losgeschickt, damit er unter den Schwarzen aufräumt, und mittlerweile ist offenkundig, daß er diese Aufgabe nicht erfüllen wird. Was für Schaden kann er schon anrichten auf seinen Wanderungen durch Deutschland? Soweit wir wissen, hat er sich bereits nach Südamerika eingeschifft, zu all diesen süßen kleinen Schnurrbartes Lassen Sie's gut sein, für eine Weile. Wir haben immer noch die Armee, wenn die Zeit reif ist. Slothrop war ein respektabler Versuch einer moderaten Lösung, aber letzten Endes brauchen wir doch immer die Armee, nicht wahr?" "Wie können Sie so sicher sein, daß die Amerikaner uns das jemals verzeihen werden?"
    Ein langes, unangenehmes Kichern. "Clive, Sie sind so ein kleiner Junge. Sie kennen die Amerikaner nicht. Ich kenne sie. Ich mache Geschäfte mit ihnen. Die Amerikaner wollen einfach mal sehen, wie wir mit unseren schönen schwarzen Tieren fertig werden - ach ja, ex Africa semper aliquid novi, sie sind einfach so groß, so stark -, bevor sie sich an ihren eigenen, äh, Zielgruppen versuchen. Mag sein, daß sie uns ein paar recht unangenehme Sachen sagen werden, falls wir scheitern, aber Sanktionen wird es keine geben." "Werden wir scheitern?"
    " Wir werden alle scheitern", Sir Marcus zupft an seinen Löck-chen, "aber nicht die Operation."
    O ja. Clive Mossmoon fühlt sich erhoben, aus einem Sumpf von trivialen Frustrationen, politischen Ängsten, Finanzproblemen, hinaufgehoben auf das nüchterne Niveau der Operation, wo man festen Boden unter den Füßen spürt, wo das eigene Ich ein belangloses, lammfrommes Haustier ist, das früher einmal geschrien hat in seiner morastigen Nacht. Hier aber gibt's kein Winseln, hier im Inneren der Operation. Hier gibt's kein niedrigeres Ich. Die Fragen, um die es geht, sind zu bedeutsam, als daß das Niedrige in einem selbst sich einzumischen wagte. Sogar im Züchtigungsraum auf "The Birches", dem Landsitz von Sir Marcus, ist das Vorspiel ein Spiel darum, wer die wirkliche Macht hat, wer sie schon immer, so gefesselt und geschnürt er für den Augenblick auch sein mag, gehabt hat außerhalb dieser mit Foltergerät bestückten Mauern. Die Demütigungen der schönen "Angelique" sind kalibriert nach ihrem Grad an Phantasie. Keine Freude, keine wirkliche Hingabe. Nur die Erfordernisse der Operation. Jeder von uns hat seinen Platz, und diese Positionen bleiben, nicht die, die sie besetzen ... Es war nicht immer so. In den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, mit der Wahrscheinlichkeit ihres raschen Todes vor Augen, lernten die Engländer, einander sauber zu lieben, ohne Scham und falschen Vorwand: lernten, Beweise außerirdischer Besuche in den Gesichtern anderer junger Männer zu entdecken, armselige Hoffnungen, die vielleicht halfen, selbst Dreck und Scheiße, selbst faulende Stücke Menschenfleisch zu ertragen ... Es war das Ende der Welt, es war die totale Revolution (wenn auch nicht ganz von der Art, die Walther Rathenau verkündet hatte): Tag für Tag legten Tausende von Aristokraten, alten und neuen, noch umnebelt von den Heiligenscheinen ihrer Überzeugungen von Recht und Unrecht, ihre Köpfe auf die lärmende Guillotine Flanderns, die pausenlos, bei Tag, bei Nacht, in Betrieb gehalten wurde von unsichtbaren Händen, die sicher nicht jene des Volkes waren - eine englische Klasse wurde dezimiert, die Freiwilligen starben für jene, die etwas mitgekriegt und sich nicht gemeldet hatten, und trotz alledem, obwohl zumindest manche wußten, daß sie betrogen wurden, obwohl Europa grauenhaft in seinem eigenen Dreck krepierte, gab es Männer, die liebten. Doch der Lebensschrei dieser Liebe ist längst verrauscht zu nichts als solchen läppischen und zickigen

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